Trans – wieviel Sternchen soll es sein?

von | 20. August 2020 | Gendern im Journalismus, Sprachpolitik

bunt bemalte Person hält sich die Augen zu

Vielfalt: knallbunt, in allen Farben des Regenbogens
© AdobeStock, Vera

Gendersensible Sprache sieht sich heutzutage umfassenden Anforderungen ausgesetzt. Längst geht es nicht mehr allein darum, Männer und Frauen gleichermaßen sichtbar zu machen. Seit die politischen Bemühungen von trans- und intergeschlechtlichen Menschen in allen Gesellschaftsteilen mehr Gehör finden, wird die bisherige Erkenntnis, dass es nur zwei klar voneinander unterscheidbare Geschlechter gäbe, auch über diese beiden Gruppen hinaus in Frage gestellt.

Mehr als zwei Geschlechter

In den urbanen Experimentallaboren junger, akademisch gebildeter und politisch engagierter Menschen wird schon seit der Jahrtausendwende nach Möglichkeiten gesucht, der sprachlich-grammatikalischen Binarität den Kampf anzusagen. Daraus resultierten insbesondere der „Gender Gap“ und der „Gender Star“ – also die gendersensiblen Schreibweisen mit Unterstrich oder Sternchen.

Gender-Studies-Seminare und alternative queerfeministische Communitys regten viele Personen an, auch bei sich selbst auszuloten, wie es um die eigene Identifikation mit dem Zuweisungsgeschlecht bestellt war. Darüber verbreitete sich schließlich die Anforderung, mehr als nur zwei Geschlechter sprachlich sichtbar zu machen.

Heute lassen sich Unterstrich und Sternchen ebenso in digitalen wie analogen Texten von Ministerien, NGOs, Stiftungen, Kommunen und vergleichbar gediegenen Institutionen finden. Handreichungen verschiedener Gleichstellungs- und Diversity-Beauftragter enthalten Empfehlungen für sensible Schreibweisen, die Geschlechtervielfalt berücksichtigen. Diesen Entwicklungen folgte 2019 die Einführung des Geschlechtseintrags „divers“ mit dem Paragrafen 45b im Personenstandsgesetz, was wiederum das Resultat einer erfolgreichen Klage einer intergeschlechtlichen Person vor dem Bundesverfassungsgericht ist. Die staatliche Anerkennung von mehr als zwei Geschlechtern macht die Auseinandersetzung mit entsprechenden sprachlichen Lösungen nun umso dringlicher.

 

Nichtbinär – wer ist gemeint?

Intergeschlechtlich

Was wird nun eigentlich unter Geschlechtern verstanden, die sich nicht unter männlich oder weiblich wiederfinden können? Zum einen geht es dabei um die Gruppe der intergeschlechtlichen Menschen, deren Geschlechtsmerkmale auf biologischer Ebene nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Oftmals mussten diese Menschen chirurgische Eingriffe über sich ergehen lassen, die bei vielen von ihnen seelische und gesundheitliche Schäden verursacht haben. Bis heute werden solche zumeist unnötigen Operationen an intergeschlechtlichen Kindern durchgeführt, obwohl es inzwischen eine Debatte in der Medizin gibt, die dies aus ethischer Sicht kritisiert. Aus politischem Aktivismus intergeschlechtlicher Menschen heraus ist die Forderung nach einem positiven dritten Geschlechtseintrag entstanden, um nicht länger als Mann oder Frau mit Defekt zu gelten, aber auch ,um durch offizielle Anerkennung dem Eingriff durch geschlechtsverändernde Operationen an Kindern die Grundlage zu entziehen.

Trans

Eine andere relevante Gruppe sind transgeschlechtliche Menschen mit Geschlechtskörperdysphorie, die ihre körperlichen Geschlechtsmerkmale als nicht passend erleben und deshalb oft Leidensdruck entwickeln. Viele von ihnen beziehen zwar eindeutig Position als Mann oder Frau, jedoch nicht alle. Auch für diese transgeschlechtlichen Personen bietet eine nichtbinäre Geschlechtskategorie eine Möglichkeit, sich im positiven Sinne anzunehmen.

Genderfluid, genderqueer und mehr

Darüber hinaus gibt es noch eine wachsende Zahl von Menschen, die weder intergeschlechtlich sind, noch eine Geschlechtskörperdysphorie haben, die aber dennoch ihr Geschlecht als nichtbinär verstehen. Oft finden Menschen dieser Gruppe das binäre Geschlechterverständnis Mann – Frau als einengend und lehnen es ab. Sie bezeichnen sich dann beispielsweise als genderfluid, genderqueer oder auch keinem Geschlecht zugehörig. Inzwischen gibt es eine unüberschaubare Fülle an Geschlechtsidentitäten, mit denen sich eine Person identifizieren kann, was vor allem im englischsprachigen Raum in einschlägigen Wikis dokumentiert ist.

 

Das Geschlecht in Frage stellen

Gerade Personen aus der letztgenannten Gruppe experimentieren auch mit sogenannten Neopronomen wie z.B. ber, mer, ecs, em. Daraus ergibt sich dann ein jeweils individuelles Gendern. Bekannt wurde diese Herangehensweise durch Lann Hornscheidt, als Hornscheidts Wunsch, nicht mehr weiblich angeredet zu werden, 2014 auch medial für Erregung sorgte. Hornscheidt bat darum, künftig als „Professix“ adressiert zu werden. Inzwischen präferiert Hornscheidt das Pronomen „ex“ – was „Exit Gender“ ausdrücken soll. Hornscheidt sieht sich selbst weder als männlich noch als weiblich und möchte geschlechtliche Zuordnungen am liebsten ganz abschaffen.

Ob dem Geschlecht auf diese Weise zu entkommen ist, möchte ich jedoch vorsichtig bezweifeln, denn Menschen werden in der Interaktion nicht damit aufhören, vorbewusst auch das Geschlecht wahrzunehmen und sich dann gemäß dessen zu verhalten. Ebenso ist die Personalisierung von Pronomen meiner Ansicht nach eher ein Missverständnis dessen, was die Kategorie „Geschlecht“ anbetrifft. Die Unterschiede unter Männern und Frauen sind jeweils größer, als es Geschlechtsrollenstereotype suggerieren wollen. Anstatt dies anzuerkennen, werden Erkenntnisse über Geschlechterstereotype mit einem Gesamturteil über ein Individuum an sich verwechselt.

 

Die passende Ansprache

Nichtbinärer Aktivismus wünscht sich daher, dass Geschlecht verlernt wird, indem im Idealfall immer alle Menschen nach ihrem Pronomen gefragt werden sollen, um aus zwei Geschlechtern viele individuelle zu machen. Doch dafür ist diese Kategorie wenig geeignet und die meisten Menschen werden es überflüssig finden, all ihre Kontakte stets nach ihrem Pronomen zu befragen, wenn doch die meisten ohnehin Mann oder Frau sind. Zudem schafft dieses Vorgehen auch im Umgang mit transgeschlechtlichen Menschen Verunsicherung, sind sie in den meisten Fällen doch entweder Mann oder Frau und wollen auch so anerkannt werden. Selbstverständlichkeit kann sich jedoch nur schwer einstellen, wenn jedes Mal nach Pronomen gefragt wird.

Ebenso negativ kommen mitunter Versuche an, den Bezeichnungen „Frau“ und „Mann“ ein Sternchen hinzuzufügen. Frau* oder Mann* sollen signalisieren, dass Geschlecht für eine sozial konstruierte Angelegenheit gehalten wird und Trans inkludiert werden soll. Bei Transpersonen kann jedoch der Eindruck entstehen, sie würden nicht selbstverständlich für Männer oder Frauen gehalten und dies führt dann zu ihrer Verärgerung. Besonders radikale Vorschläge experimentieren außerdem mit permanenter Kleinschreibung sowie wandernden Unterstrichen und Sternchen, um jedwede Norm zu brechen – und sei es in einem Wort wie „Tisch“, was dann vielleicht so geschrieben werden könnte: „ti_sch“.

 

Fehlende Barrierefreiheit ist das Problem

An diesen Beispielen werden die Grenzen solcher sprachlichen Interventionen sichtbar. Obwohl zumeist mit guter Absicht kreiert, sorgen einige der Vorschläge gerade nicht für mehr Inklusion und Gerechtigkeit. Besonders die sehr avantgardistischen Vorschläge sind nicht barrierefrei. Personen, die nicht über Deutschkenntnisse auf Muttersprachniveau verfügen oder gerade erst Deutsch lernen, können durch willkürlich getrennte Wörter verwirrt werden. Ebenso profitieren sie mehr von grammatikalisch korrekten Texten, weshalb konsequente Kleinschreibung ebenfalls nicht optimal ist. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten, die eher „Leichte Sprache“ benötigen, sind solche experimentellen Texte nur schwer erschließbar.

Auch die inzwischen schon klassische Verwendung des Gender Gaps oder Genderstern ist nicht ohne Haken. Noch immer gibt es Probleme mit der Barrierefreiheit, da diese Sonderzeichen nicht optimal von Vorleseprogrammen verarbeitet werden. 2019 veröffentlichte beispielsweise der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) seine Richtlinien, die intern zur Anwendung kommen sollen. Darin empfehlen sie ausdrücklich nicht das Gendern mit Sonderzeichen, vielmehr raten sie zu Beidnennung der männlichen und weiblichen Bezeichnungen oder zu geschlechtsneutralen Formulierungen, wo diese angemessen sind. Eine Grundlage, die auch an die Empfehlungen von Genderleicht andockt.

Hierbei muss immer im Blick behalten werden, nicht einfach stumpf geschlechtsneutral zu formulieren, sondern reale Sachverhalte wiederzugeben. Wenn beispielsweise in der Pflege überwiegend Frauen tätig sind, dann sind geschlechtsneutrale Formulierungen allein nicht präzise, auch wenn ein kleiner Teil der in der Pflege Tätigen Männer oder nichtbinäre Personen sein können.

 

Herbeigesehnt: sprachliche Lösung für die Dritte Option

Insbesondere fehlt eine sprachlich-grammatikalische Lösung für eine dritte Geschlechtsoption, die weithin akzeptiert würde und praktikabel ist. Eine einheitliche Lösung aber würde das Irritationspotenzial schleifen, was diesen sprachlichen Experimenten zugeschrieben wird und stattdessen eine Revolution der Geschlechterbinarität durch Institutionalisierung abwürgen.

Während die Revolution auf sich warten lässt, wäre es in der Tat für Alle einfacher, wenn es bald eine Entscheidung für eine konkrete sprachliche Lösung gäbe, die von Allen geübt und somit verinnerlicht werden könnte – eben auch von Menschen, die auf niedrigschwellig zugängliche Sprache angewiesen sind. Das würde bedeuten, dass auch diejenigen, die ihr Geschlecht als nichtbinär verstehen, sich in das grobe Raster von „divers“ und einer dafür geschaffenen sprachlichen Form einfügen müssten.

An dieser Stelle wird deutlich, wie heterogen die Gruppen trans- und intergeschlechtlicher Menschen sind: Nicht alle sehnen eine Geschlechterrevolution herbei, viele finden sich selbst in der Geschlechterbinarität wieder. Andere betreten beim Thema „Gendern“ ebenso unbekanntes Terrain oder finden es gar übertrieben.

Die Auseinandersetzungen um geschlechtersensible Sprache sind noch lange nicht zu Ende geführt, wenngleich es eher um das „Wie“ und weniger um das „Ob“ geht. Dennoch braucht es Debatten zu Geschlecht, die ohne Schaum vorm Mund prüfen, welche Verständnisse zur Realität passen. Praktikable Lösungsansätze für geschlechtersensible Sprache zu suchen, die auch geschlechtsneutral noch elegant ist und dabei sensibel für Realitätsverhältnisse, sind und bleiben wichtig.

Portrait Till Randolf Amelung

© Joanna Nottebrock

Till Randolf Amelung

Gastautor

Auch im eigenen Interesse hat er sich während des Studiums von Geschichtswissenschaften und Geschlechterforschung mit gesellschaftlicher Teilhabe von Trans beschäftigt. 2020 ist sein Sammelband „Irrwege. Analysen aktueller queerer Politik“ im Berliner Querverlag erschienen. Till Randolf Amelung hat als freier Autor ein Faible für die heikleren Aspekte eines Themas.

Ideen und Impulse

Bei Genderleicht & Bildermächtig finden Sie Argumente und Fakten sowie Tipps und Tools für die gendersensible Medienarbeit.

Newsletter

Was gibt es Neues beim Gendern? Was tut sich bei Bildermächtig? Wir halten Sie auf dem Laufenden, immer zur Mitte des Monats.

Willkommen

bei Genderleicht & Bildermächtig vom Journalistinnenbund e.V.: Impulse zu einer gendersensiblen Arbeitsweise für alle Medienschaffende

Blogthemen

Knifflige Fragen zum Gendern? Antworten gibt unser Textlabor

Gezeichnete Glaskolben wie aus einem Chemielabor weisen auf das Serviceangebot des Textlabors hin: Hier bespricht das Team Genderleicht knifflige Textfragen.

… oder dieses Buch

Buchcover Genderleicht