Textlabor #18
Mitgliederin – geht das?
Bei Schriftstücken, die ausschließlich Frauen betreffen, können alle Personen weiblich bezeichnet werden. Astrid ist dennoch irritiert und möchte wissen:
Kürzlich las ich in einem Protokoll meines Frauenverbandes die Begriffe „Gästin“ und „Mitgliederin“. Das ist doch wohl des Guten zu viel, oder?
Guten Tag Astrid,
Gästin klingt auch in unseren Ohren ungewohnt, steht aber als feminines Pendant zu Gast im Duden. Im Allgemeinen wird das Wort Gast bzw. Gäste als geschlechtsneutraler Oberbegriff empfunden, vergleichbar dem Wort Person. Die deutsche Sprache bietet jedoch durch das Anhängen von „-in“ die Möglichkeit, das weibliche Geschlecht sprachlich sichtbar zu machen.
Aus einer Anfrage an die Redaktion des Duden haben wir im Übrigen erfahren, dass schon Katia Mann, verheiratet mit dem Schriftsteller Thomas Mann, Gästin geschrieben hat und dass das Wort bereits im Grimmschen Wörterbuch verzeichnet war. Gegen Gästin spricht nichts, es ist nur ein in Vergessenheit geratenes Wort. Es kann also gut sein, dass sich die weibliche Form wieder mehr und mehr durchsetzt.
Mitgliederin dagegen geht gar nicht. Warum, dazu schauen wir uns das Wort Mitglied genauer an. Beginnen wir mit dem Wortteil „Glied“. Es bezeichnet das „Teil eines Ganzen“, so das Herkunftswörterbuch des Duden oder auch das „Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache“, das den deutschen Wortschatz seit 1600 verzeichnet. Gemeint sind Körperteile im Sinne von Gliedmaßen, aber auch Teile einer Organisation oder Vereinigung. Bei letzteren wird die Bezeichnung Mitglied verwendet.
Das Wort Mitglied ist sächlich und wirkt wie ein geschlechtsneutraler Oberbegriff. Warum also die Silbe -in anhängen? Die in Ihrem Verband aufgekommene Variante Mitgliederin macht das Mitglied durch Anhängen von -er zunächst männlich, und dann durch Ergänzen von -in weiblich. Wenn, dann bitte: Mitgliedin. Aber ganz ehrlich? Das ist alles Humbug!
Im Plural, bei Mitgliedern, sagt uns das Sprachgefühl, könnte auch Mitgliederinnen oder sogar Mitglieder*innen richtig sein. Wir haben uns ja schon an Vieles gewöhnt. Der Duden aber sagt: Machen Sie das bitte nicht!
Wir haben noch einen Aspekt für Sie: „Glied“ ist auch die Bezeichnung für das männliche Geschlechtsteil. Deshalb entzündet sich gelegentlich feministisches Unbehagen am Wort Mitglied. Es kann verstanden werden als Wort für Personen „mit Glied“. In Frauenbewegungskreisen der 1970er und 80er Jahre machte alternativ zum „Mitglied“ das Wort „Mitklit“ die Runde, eine Abkürzung von „mit Klitoris“. Eine Witzelei, die sich nicht weiter durchgesetzt hat.
Für reine Frauenvereinigungen bleibt deshalb beim Verwenden des Wortes Mitglied ein gewisses Unbehagen. Wir kennen das aus unserem Verband, dem Journalistinnenbund. Einige von uns schreiben alternativ über unsere Mitglieder als „Kolleginnen“ oder „jb-Frauen“. In der Vereinssatzung steht selbstverständlich „Mitglied“. Es ist das rechtlich verbindliche Wort.
Wie so oft beim gendergerechten Schreiben ist die Suche nach Synonymen besser, als Wörter zu verbiegen. Vielleicht diskutieren Sie mal in Ihrem Verband über sprachliche Standards – und über Alternativen. Das wird sicher spannend.
Grüße von Frauenverband zu Frauenverband
Team Genderleicht
Gut zu wissen:
Im Deutschen Frauenrat (DF) sind bundesweit 60 Frauenverbände und -vereine organisiert. Als größte frauenpolitische Lobby vertritt der Dachverband rund 12 Millionen Frauen. Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Sprache hat der DF für alle Texte 2019 den Genderstern eingeführt.
Linktipp:
Hallo Duden: alles weiblich?!
Rat und Expertise
Mitten im Sprachwandel gab es viele Fragen zum geschlechtergerechten Schreiben und Sprechen. Das Team Genderleicht hat während der ersten Projektphase 2020/21 viele Zuschriften beantwortet. Wir haben fachlichen Rat recherchiert und uns am allgemeinen Sprachgefühl bei unseren Anregungen und Empfehlungen orientiert. Wir finden: Zum Gendern ist alles gesagt. Eine Antwort auf Ihre kniffelige Frage finden Sie bestimmt im Textlabor.