Vom Magazinartikel über Podcasts bis hin zur aktuellen Online-Nachrichtenmeldung – für alle Medien, Print wie Online – müssen Bilder ausgewählt werden. Denken Redaktionen dabei über die Geschlechterdarstellung nach? Ich habe nachgefragt.
Männerüberschuß
Wer mit aufmerksamem Blick die Nachrichtenlage verfolgt, findet diese Beispiele noch immer: Das Bild aus der Polit-Talkrunde, bei dem ausschließlich der einzig männliche Talk-Gast in der Runde auf dem Artikel-Bild klar und zentral präsentiert wird. Oder jene Tage, an denen im Sportteil exklusiv Männer auf Bildern zu finden sind, teilweise sogar nur männliche Fußballer, als gäbe es im Sport nichts anderes zu berichten.
Fairerweise muss ich zum Bericht der Süddeutschen Zeitung erwähnen, dass ausnahmsweise nur ein männlicher Gast da war, und genau das wird in dem Artikel thematisiert. (Manche haben sich bei X darüber nämlich beschwert: Fünf Frauen und nur ein Mann; wobei es umgekehrt kaum Beschwerden gibt, wenn mal nur eine Frau in einer Talk-Runde sitzt).
Die Macht des Bildes
Die Bildauswahl in Redaktionen ist im wahrsten Sinne des Wortes mächtig: Sie entscheidet, wer zu sehen und damit in der medialen Öffentlichkeit überhaupt präsent ist. Wer nicht stattfindet, hat in der Gesellschaft keine Bedeutung. Darüber hinaus beeinflusst auch die Bild-Inszenierung, wie wir über die abgebildeten Personen denken. Werden Frauen beispielsweise immer nur kleiner, unscharf oder in stereotypen Rollen gezeigt, kann das eine patriarchale Gesellschaftsordnung weiter festschreiben. Bildauswahl ist also eine Machtfrage, das heißt: Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die von Journalist*innen jeden Tag übernommen wird.
Nachgefragt: verantwortungsvoller Umgang mit der Bildauswahl?
Wie bewusst sich Redaktionen dieser Verantwortung sind, wollte ich von drei Redaktionsteams wissen:
- Redaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), die drei Ausspielwege hat (Zeitung, Online, ein Magazin).
- Redaktion hinter den Startseiten von gmx.de und web.de: Deren Ziel ist zwar nicht primär die Übermittlung von Nachrichten. Trotzdem erreicht die Redaktion mit ihren News täglich Millionen von Menschen, zählen die beiden Seiten doch zu den meistbesuchten Websites in Deutschland.
- Redaktion von Deutschlandfunk Nova (Dlf Nova): Der Radiosender hat bei der Podcastbebilderung spezielle Ansprüche. Bilder dürfen nicht zu kleinteilig sein, das Thema muss sich auf dem ersten Blick auch im kleinen Format sofort erschließen.
Bildredaktionelle Arbeit bei der WAZ
Bei der WAZ arbeiten täglich zwei Mitarbeiter*innen in der Bildredaktion. Quellen für die Bilder sind primär eigene Fotos von Fotograf*innen, vor allem wenn die Geschichten in der Region spielen, so die Auskunft der WAZ-Fotoredaktion. Es werden aber auch Bilder von Agenturen und Stock-Fotos genutzt.
Generell sollen bei der WAZ Menschen im Vordergrund der Bilder stehen. Im Online-Bereich der Lokalzeitung stellen die Bildredakteur*innen eine Bildauswahl für die Themen bereit. Wer den Artikel schreibt, wählt aus diesen Bildern dann selbst ein passendes aus.
Dabei soll Diversität eine Rolle spielen, sagt die Fotoredaktion, macht aber auch klar: „Dadurch, dass wir als Dienstleister*innen fungieren, können wir lediglich an die Redaktionen Empfehlungen aussprechen, was die Diversität und die Geschlechtergerechtigkeit angeht.“ Diversität werde aber in allen WAZ-Redaktionen gelebt.
Fundstücke
Auf der Internetseite der WAZ habe ich positive Beispiele gefunden: Zum Beispiel die Kinobetreiberin Nina Serbig, die mit ihrem Kollegen Serbay Demir gemeinsam abgebildet wird. Sie ist darauf sogar deutlich größer zu sehen als er.
Bei dem Thema „Deutschlands beste Arbeitgeber: Das sind Dortmunds Top 8“ wird auf Symbolbilder zurückgegriffen. Hier sehen wir die Silhouette einer weiblich gelesenen Person in einem Setting, das eine Präsentation suggeriert. Und die einer männlich gelesenen Person, die an einem Auto schraubt. Auch wenn die Bereiche, in denen die zwei vorgeblich jeweils arbeiten, definitiv klischeehaft sind – die weiblich gelesene Person erscheint größer und führungsstärker, ist hier also in einer hervorgehobeneren Position.
Gleichzeitig habe ich im September an mehreren Tagen im WAZ-Online-Sportteil ausschließlich männliche Fußballer oder Symbolbilder sehen. Einzige Ausnahme: ein Artikel ganz unten auf der Übersichtsseite zu einer Podcastaufzeichnung mit einer Moderatorin.
Zielvorgabe Vielfalt bei gmx.de: wird sie erreicht?
Die gmx/web.de-Redaktion sagt über sich, dass Geschlechtersensibilität eine Rolle spielt. Auch hier gibt es eine Bildredaktion mit drei Redakteur*innen. Allerdings ist der Ablauf etwas anders als bei der WAZ: Diejenigen, die die Artikel schreiben, liefern Bildvorschläge mit, die dann zunächst von der Schlussredaktion bzw. der Ressortleitung bewertet werden. Am Ende entscheiden Chef oder Chefin vom Dienst gemeinsam mit der Bildredaktion.
Die primäre Quelle für Bilder sind Nachrichtenagenturen, bei exklusiven Interviews werden auch Fotograf*innen für die Porträtaufnahmen beauftragt. Selten kommen laut Redaktion Stock-Fotos zum Einsatz.
Um eine geschlechtersensible Darstellung in Text und Bild zu erreichen, führt die Redaktion regelmäßig Schulungen durch. Das Ziel ist dabei, die vielfältige Gesellschaft abzubilden: „Konkret bedeutet das etwa die Vermeidung geschlechtsbezogener Rollenklischees in der Bildsprache, Body Neutrality (wir legen Wert auf Diversität und verzichten auf stereotype Schönheitsideale) und die Darstellung von ethnischer, kultureller, religiöser Vielfalt. Für den Bereich der Inklusion gilt zusätzlich: Auch ältere Personen und Menschen mit Behinderungen sollen sichtbar sein“, antwortet die Redaktion per Mail auf meine Anfrage.
Fundstücke
Im GMX-Online-Portal habe ich das Foto einer aktiven Sportlerin gefunden, in einem Artikel über die norwegische Skifahrerin Maria Therese Tviberg. Ein Bild, das in der Sportberichterstattung sonst kaum vorkommt, wie in diesem Blog schon analysiert wurde.
Zu einem Artikel über den Ausbildungsbericht der DGB-Jugend gab es dann allerdings ein Bild mit männlichen Handwerkern, die in einer Werkstatt arbeiten. Es ist nicht mehr online, aber so sah es aus: Einer werkelt prominent im Vordergrund, die anderen kleiner und unscharf im Hintergrund. Ein einzelnes Bild, auf dem nur männliche Handwerker zu sehen sind, ist zwar noch kein Beweis für Sexismus. Aber es bedient das Klischee „Nur Männer sind im Handwerk, in der Technik unterwegs“.
Dabei gibt es längst zahllose Beispiele, wie erfolgreich Frauen in Handwerk und in technischen Berufen arbeiten. Auch hierüber differenzierter zu berichten, wurde schon in diesem Blog gefordert.
Die junge Zielgruppe vor Augen: Bilder für Podcasts bei Dlf Nova
Bei Deutschlandfunk Nova gibt es keine dezidierte Bildredaktion, sondern die Onlineredaktion entscheidet darüber, welche Bilder genutzt werden. Bei einigen Podcast-Formaten wird das Podcast-Team in die Entscheidung miteinbezogen.
Transparenzhinweis: Auch ich entscheide als Teil des Podcast-Teams von „Unboxing News“ bei den Folgen, die ich redaktionell betreue, mit über die Bildauswahl für diesen Podcast.
Bei der Podcast-Bebilderung kommt es laut Dlf Nova Onlineredaktion darauf an, dass ein Bild neugierig macht, den Podcast illustriert und zusammen mit Titel und Teaser Lust macht, sich das Ganze anzuhören. Die Bebilderung soll zum gesamten Auftritt von Dlf Nova passen. Den beschreibt die Onlineredaktion auf meine Mailanfrage so: „Jung, authentisch, seriös und zielgruppig, auf Augenhöhe, aber nicht zwanghaft jugendlich oder anbiedernd.“
Fundstücke
Als Beispiel, um diesen Look zu visualisieren, nennt die Redaktion die Bebilderung zu einem Podcast, warum die Grünen bei jungen Wähler*innen nicht mehr ankommen. Darauf sind keine Politiker*innen der Grünen oder Wahlplakate zu sehen, sondern stattdessen eine Nahaufnahme von Chucks. Das soll laut Redaktion verschiedene Assoziationen wecken: „Chucks, allgemein die Schuhe der Jüngeren, aber auch der vermeintlichen Linken/Grünen-Wähler*innen, die ihre Stimme aber mittlerweile auch anderen Parteien geben.“ Es ist also ein bisschen um die Ecke gedacht und nicht gleich das erste naheliegende Bild.
Dlf Nova nutzt drei verschiedene Bildagenturen, manchmal auch Fotos von den Protagonist*innen selbst, die in den Podcasts auftauchen. Das Dlf Nova Onlineteam bespricht regelmäßig gelungene Bebilderung und ist sich des Themas Geschlechtersensibilität bewusst: „Wir versuchen grundsätzlich, so vielfältig wie möglich zu bebildern – das heißt, auf ein ausgeglichenes Verhältnis zu achten, was geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, Ethnie, Grad der Behinderung oder Klassenzugehörigkeit angeht. Ganz bewusst versuchen wir, Klischees zu vermeiden oder mit ihnen zu brechen.“
Dazu gehöre auch, nicht nur dann vielfältig zu bebildern, wenn es um „Vielfaltsthemen“ geht, sondern auch bei Themen wie Arbeit, Beziehung oder Alltag. Die Redaktion sagt, dass es nicht immer leicht ist, diese vielfältigen Bilder bei den Bildagenturen direkt zu finden, es brauche oft viel Recherche.
Insgesamt fällt bei der Podcastbebilderung von Dlf Nova auf, dass sehr viele weiblich gelesene Personen darauf abgebildet sind. Beim Podcast „Ab 21“ beispielsweise ist bei den letzten zehn veröffentlichten Folgen entweder ein unpersönliches Symbolbild oder das Bild weiblich gelesener Personen gewählt worden.
Nach dem Lob die Kritik
Beim Podcast „Unboxing News“ ist die Redaktion ihren Ansprüchen nicht gerecht geworden. Es geht um die Bebilderung einer Folge zu Gewalt gegen Frauen. Auch hier ein Hinweis: An dieser Folge war ich redaktionell nicht beteiligt.
Zu sehen ist ein unscharfes Bild von einem Fuß, der offenbar zutreten wird. In der Ecke eines Raumes sehe ich eine weiblich gelesene Person, die sich vor dem Tritt, der sie wohl gleich treffen wird, schützend wegduckt. Dieses Bild reiht sich ein in eine klischeehafte Bilderzählung über Gewalt gegen Frauen, die sich ausschließlich auf physische Gewalt reduziert und Frauen als Opfer festschreibt.
Wie auch schon in diesem Blog beschrieben, braucht es neue Bilder zum Thema Gewalt gegen Frauen. Es kann für Redaktionen aber schwierig sein, diese anderen Bilder zu finden und zu nutzen, wenn sie bei Bildagenturen schlicht nicht im Angebot sind. Hier stößt ein Bewusstsein für das Thema Geschlechtersensibilität an die Grenzen der Realität des journalistischen Arbeitens. Es ist manchmal eben auch eine Ressourcenfrage.
Die Sensibilität für Geschlecht schärfen: Eine Aufgabe für jeden Tag
Das Thema Geschlechtersensibilität ist in den Redaktionen also ein Thema und im Bewusstsein der Redaktionsteams größtenteils angekommen. Was sich aber zeigt: Wenn sich nur einige wenige Teammitglieder darüber Gedanken machen, reicht das nicht aus. Es muss ein Thema sein, das jeden Tag aufs Neue im gesamten Team reflektiert wird, damit stereotype Bilder und vereinfachte Darstellungen nicht nur weniger werden, sondern vielleicht irgendwann ganz aus dem Journalismus verschwinden werden.
Katja Vossenberg
Gastautorin
Sie arbeitet als freie Journalistin bei Deutschlandfunk Nova, WDR 5 und im WDR Newsroom. Katja Vossenberg hat einen Leitfaden für geschlechtersensiblen Journalismus entwickelt und gibt Seminare dazu, unter anderem an Universitäten und in Rundfunkanstalten.
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