In den Medien mehr Sichtbarkeit für Führungsfrauen schaffen – aber bitte richtig! Worauf dabei zu achten ist, das haben wir bei Bildermächtig mit einer Reihe von Beiträgen hier im Blog und auf Instagram gezeigt. Doch es braucht immer engagierte Menschen, um dies auch umzusetzen: in Medien, in Unternehmen, unter den betroffenen Frauen. Deshalb stellen wir Ideen und Aktionen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Journalismus vor – und die Hindernisse, die ihnen noch im Weg stehen.
Gendervisibility-Gap auflösen!
Ausgetauscht und vernetzt haben sich einige Aktive Anfang März auf der Konferenz „Spitzenpositionen im Fokus: Führungsfrauen aus Wissenschaft und Wirtschaft in den Medien“. Eingeladen hatte das Projekt „SESiWi“ (Strukturelle Erhöhung der Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen an Universitäten, Forschungseinrichtungen und in klassischen und digitalen Medien) von der Technischen Universität München (TUM). Ebenfalls dabei: Der Journalistinnenbund e.V., vertreten durch die Vorsitzende Friederike Sittler.
Professorin Isabell Welpe, Projektleiterin und Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TUM, erklärte gleich zu Beginn, die fehlende Sichtbarkeit von Frauen sei weniger „ein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“. Dennoch helfen Zahlen und Fakten Redaktionen, sich das Problem bewusst zu machen und es anzugehen.
Was Redaktionen für die Sichtbarkeit von Frauen tun
Drei Best-Practice-Beispiele
Kristin Haug, Redakteurin beim SPIEGEL, berichtete, immer wieder habe die Redaktion bei externen Blattkritiken gehört, das Heft sei „zu männlich“. Jetzt weiß sie genau, dass es stimmt. Denn ein neues Tool, „Radar“ misst nicht nur die Performance von Beiträgen online, sondern auch die Personen, die darin vorkommen. Die Erkenntnis: Nur etwa ein Viertel ist weiblich.
Im Wirtschaftsressort sieht es noch düsterer aus: In den meisten Monaten erreicht der Frauenanteil nur um die zehn Prozent. Ihre Strategie dagegen: „Immer wieder Appelle in Konferenzen, kritische Nachfragen bei einzelnen Texten, ob wirklich keine Protagonistin zu finden war.“ Notfalls müsse man auch ein Interview verschieben, wenn „auf die Schnelle mal wieder nur Männer bereitstehen“. Aber vor allem sollten Autoren und Autorinnen Themenideen entwickeln, bei denen Frauen im Zentrum stehen und damit im Bild sind. Auch wenn der Fortschritt mühsam sei – „es war schon mal schlimmer“, so ihr humorvolles Fazit. Zumindest gebe es schon seit einer Weile keine nackten Frauen mehr auf dem Titelbild.
Der Schweizer Ringier-Verlag hat 2019 sein Projekt EqualVoice gestartet, um den Gender Visibility Gap zu verringern. Nun misst ein Algorithmus die Berichterstattung über Frauen in den Medien des international tätigen Verlages. Stefan Mair, Ressortleiter bei der Handelszeitung in Zürich, unterstützt Newsrooms in mehreren Ländern dabei, das Tool im Redaktionsalltag einzusetzen. Allgemeine Vorgaben gibt es nicht, die Redaktionen setzen sich eigene Ziele. Die Statistiken zeigen, dass nun tatsächlich mehr Frauen vorkommen. Gerade bei den Wirtschaftsmedien Handelszeitung und Bilanz sind aber noch Anstrengungen nötig, um wenigstens einen Anteil von einem Drittel zu erreichen. Das passiert, so Mair, indem man mittlerweile schon frühzeitig Themen identifiziere und für Interviews und O-Töne gezielt Expertinnen ausfindig mache. Das „Non-Profit-Projekt“ stellt Ringier kostenlos auch anderen Redaktionen zur Verfügung.
Ohne KI, aber mit „Haltung“ arbeitet die taz-Redaktion daran, Frauen sichtbarer zu machen, so Barbara Junge, eine der Chefredakteurinnen. „Ohne Haltung kann man nichts ändern in den Medien.“ Die Diskussion darüber, so sagte sie, sei sie deshalb mittlerweile leid und spielte dabei auf die Forderung an, Medien müssten die Realität abbilden – und da gibt es in vielen Bereichen eben noch weniger Frauen. „Sagen und zeigen, was ist, ist vielleicht auch eine Ethik für die, die auf der Gewinnerseite stehen und die nicht so viel ändern wollen“, meinte Junge dazu. In der taz-Blattkritik falle deshalb schon mal die Äußerung: „Schon wieder ein Mann auf dem Titel“. Und die Fotoredaktion weise die Textredaktion streng darauf hin, wenn es keine Protagonistinnen gibt, die sie im Bild zeigen kann, denn es sei „ganz wichtig, mit Bildern zu arbeiten“.
Das sollte dann aber nicht so laufen wie beim SPIEGEL-Beitrag über Sicherheitslücken beim elektronischen Personalausweis vom 16.2.2024. Mitten im Artikel ist Innenministerin Nancy Faeser abgebildet – obwohl sie im Text gar keine Rolle spielt. Wenn eine Redaktion am Ende schnell noch Fotos von Frauen ins Blatt oder den Online-Auftritt hebt, dann sieht das auf den ersten Blick zwar diverser aus, erledigt aber nicht das Versäumnis bei Themenwahl und Recherche. „Bilder von Frauen sind eine Mogelpackung“, sagte SPIEGEL-Redakteurin Kristin Haug selbstkritisch, „solange die Frauen nicht zu Wort kommen.“
Zu sichtbar? Frauen in der Öffentlichkeit riskieren mehr
Doch Öffentlichkeit ist auch „ein Balanceakt“. Das berichtete die mehrfache Aufsichtsrätin Sabine Eckhardt. Ihre Anfrage im Kreis von Kolleginnen ergab: Die Risiken einer Presseanfrage übersteigen für viele Führungsfrauen den Nutzen.
In einem vertraulichen Teil der Konferenz erzählten einige Frauen von schlechten Erfahrungen mit Medien, von Kampagnen und Shitstorms. Stefan Mair vom Projekt EqualVoice erklärte: „Frauen werden viel aggressiver attackiert in der Öffentlichkeit. Dazu haben wir Zahlen.“ Tanja Maier, Vertretungsprofessorin für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Uni Rostock, bestätigte: „Studien zeigen: Vor allem Frauen und nicht-binäre Personen sind Angriffen ausgesetzt.“ Pauschale Forderungen nach mehr Sichtbarkeit griffen deshalb zu kurz.
Yvonne de Andrés, Vorständin im Deutschen Frauenrat, nannte dazu ihre eigene Strategie: Solidarität in solchen Fällen nicht nur anzunehmen, sondern auch einzufordern. Sichtbarkeit sei immer abhängig von der Person und der Situation: „Ich entscheide, ob und für welches Thema ich mich in den Orkan bewege.“
Als Frau sichtbar in der Wissenschaft
Auch das Projekt SeSiWi – Strukturelle Erhöhung der Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen – entwickelt ein KI-gestütztes Analyse-Werkzeug. Das Gender Equality Tech Tools (GETT) soll nicht nur die in Text und Bildern dargestellten Personen nach Geschlecht zählen, sondern auch Zitate, Beschreibungen oder Kritik zuordnen und vergleichen. Damit sollen sich dann Klischees, Wertungen oder Sexualisierung erkennen lassen. Grundlage ist sowohl die Berichterstattung von Medien als auch die von Universitäten und Forschungsgemeinschaften. Später soll der Tracker öffentlich verfügbar sein.
Was für Wissenschaftlerinnen funktioniert, ließe sich auch auf Führungsfrauen in der Wirtschaft oder andere Personenkreise anwenden. „Wir suchen noch Medien, die mit uns kooperieren wollen“, so Professorin Isabell Welpe. Ihr Team hat schon häufiger Projekte zusammen mit Unternehmen gemacht. „Ich habe erlebt, dass die Arbeit mit den eigenen Daten einen größeren Effekt hatte als Vorträge über Studien.“
Im Metavorhaben „InnovativeFrauen im Fokus“, gefördert vom Bundesforschungsministerium, gibt es weitere Projekte, um Spitzenfrauen in Wissenschaft und Wirtschaft sichtbarer zu machen. Dazu zählt unter anderem ein Überblick über Expertinnen-Datenbanken oder die Initiative #100TechFrauen. Sie soll zeigen, wie Frauen in der Techbranche Innovationen vorantreiben.
Strategien für gendergerechte Bilder
Die Arbeit von Genderleicht & Bildermächtig würdigten die Organisatorinnen der Konferenz ganz besonders. Friederike Sittler, Vorsitzende des Journalistinnenbundes, sprach zum Tagungspunkt „Wissenschaftliche Perspektive auf die Darstellung von Leistungsträgerinnen in den Medien“.
Als Führungsfrau bei Deutschlandfunk Kultur schlug sie von den Erkenntnissen zu Symbolfotos oder Perspektiven auch die Brücke zur Praxis: Wenn Stellen in der Bildredaktion abgebaut werden, dann ist es umso wichtiger, das eigene Archiv gut zu verschlagworten und in Datenbanken bewusst nach besseren Fotos zu suchen. „Es gibt schon viele gute Bilder, wir müssen sie nur finden“, so Friederike Sittler. Und wenn es sie nicht gibt, muss man sie halt machen. Deshalb produziert Bildermächtig beispielhaft eigene Bilderserien fernab von Klischees.
Mit Solidarität den Gender-Visibility-Gap überwinden
Trotz vieler Fortschritte, so Sittler, gebe es in Redaktionen immer noch „dieses Augenrollen, wenn man fragt: Entschuldigung, warum hatten wir da keine Expertin? Warum waren es schon wieder drei Experten im Programm? Diese Haltung: Ach nun stellt euch doch nicht so an!“ Ihr Appell: „Da brauchen wir die Solidarität unter den Frauen. Auch wenn wir uns teilweise in Einzelheiten auseinandersetzen, müssen wir uns in den unterschiedlichen Perspektiven stärken.“
Diversity-Trainerin Ann Mabel Sanyu, Vorstandsmitglied bei ProQuote Medien, bezeichnete diesen Appell als den wichtigsten „Takeaway“ des Tages. „Wir brauchen Solidarität: Quoten, Netzwerke und Mentorinnenprogramme“. Nur so ließen sich auch „Barrieren für Women of Color, Frauen allen Alters, Frauen mit Behinderungen“ abbauen. Diese Frauen seien unsichtbar, denn „sie fehlen in Führungspositionen – und auch hier im Konferenzsaal“.
So werden Sie als Expertin in den Medien sichtbar: Fünf Tipps von Friederike Sittler
- Sagen Sie zu, wenn die Redaktion Sie anruft und als Expertin um ein Interview bittet – auch wenn Sie sich fragen: Weiß ich das alles?
- Wenn Sie das Interview geben, sorgen Sie für sich. Klären Sie die Bedingungen: Was will dieser Mensch von Ihnen, um welches Thema geht es, werden nur Ausschnitte gesendet, wie viel Zeit ist eingeplant?
- Das gilt auch für die Bilder: Welchen Ausschnitt, welche Perspektive wählt der Fotograf oder die Fotografin, welchen Hintergrund?
- Und wenn Reporter oder Moderatorin unvorbereitet ist oder unqualifizierte Fragen stellt: Sie dürfen auch widersprechen.
- Ihr Terminkalender ist wirklich zu voll? Keine Absage ohne Ersatz: Nennen Sie eine andere Frau. Sie kennen garantiert weitere Expertinnen.
Nehmen Sie Ihre Macht als Publikum wahr.
Sehen Sie hin, schärfen Sie Ihren Blick. Fragen Sie sich: Warum waren da jetzt so viele Männer im Bild? Beschweren Sie sich bei Redaktionen, wenn nicht genug Frauen vorkommen. Das macht nämlich Arbeit, wenn die fünf E-Mails dazu erhalten. Beim nächsten Mal sorgen sie dafür, dass mehr Frauen auftreten.
Angelika Knop
Gastautorin
Journalistin und Moderatorin, berichtet über Recht und Justiz, Medien und Frauenpolitik. Sie sieht Gendern als Prozess, verfolgt Trends und Debatten, nutzt das Sternchen und übt den Glottisschlag. Manchmal wünscht sich Angelika Knop sehnlichst neutrale Begriffe, wenn das Geschlecht gerade nichts zur Sache tut.
Mit Pumps und Po
Serie Führungsfrauen, Teil 1
Viel zu kleine Bildauswahl
Serie Führungsfrauen, Teil 2
Bessere Businessfotografie
Serie Führungsfrauen, Teil 3
Unser Fotoprojekt Neue Bilder
Frauen in Führungspositionen