Wer hat hier die Hosen an? Wie Medien über den Kleidungsstil in der Politik berichten

von | 18. September 2024 | Bildimpulse

Gruppe: Drei elegant gekleidete Frauen und vier Männer in Anzügen laufen im hellen Sonnenschein seitlich auf die Kamera zu

Ursula von der Leyen und Länderchefinnen und Chefs beim „Baltic Sea Energy Security Summit“ am 30.8.2022,
Foto © Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix, AP

„Männliche Politiker kommen meist um einen Style-Check herum. Doch mit dieser Ungerechtigkeit ist jetzt Schluss.“ Das verkündete die taz eine Woche vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Unter dem Titel „Die Grenzen des Tragbaren“ ließ sie einen internationalen Mode-Experten die Kleidung von drei Frontmännern der AfD analysieren. Die Lifestyle-Ausgabe „Bellevue“ der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) betrachtete einige Tage zuvor die Garderobe von Kamala Harris‘ Running Mate, Tim Walz: „Obwohl er sich bei offiziellen Auftritten in gut sitzenden Anzügen zeigt, nach Möglichkeit trägt er eine Garderobe, die aussieht wie die eines amerikanischen Farmarbeiters, sie besteht aus T-Shirts, Arbeiterjacken und -stiefeln von uramerikanischen Marken.“ Und schon zu Frühzeiten der Ampel hatte die Deutsche Welle in einem Online-Beitrag das männliche Outfit der Koalition begutachtet: „Die Krawatte fehlt immer häufiger. Stattdessen sind Dreitagebärte und Turnschuhe zu sehen. Bei den Herren scheint sich das offene, weiße Hemd als Einheitslook zu etablieren.“

Das sind drei überraschende Fundstücke der Recherche für diesen Beitrag. Denn am Anfang stand die These, dass Medien nahezu ausschließlich das Äußere von Frauen in der Politik thematisieren – und das eher im Nebensatz, recht oberflächlich und stereotyp, abgesehen von ausführlichen Home- oder Klatschstories in Boulevard und Yellow Press. Doch die modische Stilkritik, so scheint es, ist in der politischen Berichterstattung salonfähig geworden, von der linken Tageszeitung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis zum Lifestyle-Medium. Und sie nimmt das politische Personal jeden Geschlechts und jeder Partei unter die Lupe, im In- und Ausland.

Styling oder Stil? Modekommentare in der politischen Berichterstattung

Screenshot Foto: Aufstellung fürs Foto beim G7 Gipfel: 7 Männer in grauen und schwarzen Anzügen und zwei Frauen im bunten Blazer  und schwarzer Hose auf einem Podest

Screenshot Welt, 23.1.2023, Foto © Patrick Semansky, dpa

Wieso überhaupt Stilkritik in der Politik? Der österreichische Modejournalist Daniel Kalt nennt dafür gute Gründe. In seinem 2023 erschienenen Buch „Staat tragen: Über das Verhältnis von Politik und Mode“ schreibt er: „Noch bevor Politiker*innen an ein Rednerpult treten und das Wort ergreifen, treten sie als Kleiderträger*innen in Erscheinung und werden von ihrem Gegenüber unweigerlich taxiert, eingeordnet, interpretiert“. Er behauptet sogar: „Der gute – oder zumindest glaubwürdige – optische Eindruck zählt, und darum ist eben mit Bildern leichter Politik zu machen als mit Worten oder irgendwann tatsächlich folgenden Taten“. Und weil das so sei, versuche die Politik möglichst auch den öffentlichen Eindruck zu kontrollieren – durch Styling, Inszenierung, eigene Fotografien und Social Media Auftritte. Den Medien bleibe nur, auf Ausrutscher zu hoffen und diese festzuhalten oder eben die Stilkritik.

Die Politikwissenschaftlerin Sabine Dengel sieht im „Zeitalter des Visuellen“ Mode deshalb sogar als Thema der politischen Bildung, die „kritische Urteilsbildung fördern will“. Wenn Politiker und Politikerinnen Mode für ihre Selbstdarstellung nutzen, dann sollten Wähler und Wählerinnen deren Codes dechiffrieren können, legte sie schon 2015 in einem Beitrag für die Schriftenreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ dar.

So ganz ist die Branche aber noch nicht davon überzeugt, dass es angemessen ist, der Oberfläche so viel Bedeutung zuzumessen. Den Zwiespalt beschreibt Daniel Kalt, Chefredakteur der Wochenbeilage bei „Die Presse“, so: „Wie über eine Sache sprechen und zugleich klarstellen, dass man das Sprechen über diese Sache eigentlich als unwürdig ansehe? Das unentschlossene Grundmotiv der Beobachtungen ließe sich verknappen auf: „Zum Glück sind wir darüber hinweg, das modische Auftreten von Politikerinnen zu kommentieren, aber …“ Ganz ähnlich formulierte es Tanja Rest 2022 in der Süddeutschen Zeitung im Beitrag „Kleid und Vorurteil“: „Es ist heutzutage verpönt, über die Kleidung von Politikerinnen zu schreiben. Bei Außenministerin Annalena Baerbock machen wir aber mal eine Ausnahme. Warum? Weil es sich lohnt.“ Dann folgen großformatige Fotos der Politikerin in verschiedenen Kleidern mit ausführlicher Einordnung und Beschreibung. Mittlerweile ist die Ausnahme eher die Regel – zumindest bei der Außenministerin – , wie eine einfache Suche in jeder Suchmaschine zeigt.

Screenshot Foto: Annalena Baerbock steht barfuß in einem grünen Kleid an einem Strand. Neben ihr die Artikelüberschrift: „Kleid und Vorurteil"

Screenshot SZ, 22.8.2022, Foto © Britta Pedersen, dpa

Sabine Resch, Journalistin und Professorin für Modejournalismus sieht das Ganze als Prozess, als Annäherung. An der AMD Akademie Mode & Design, einem Fachbereich der Hochschule Fresenius in München, bringt sie ihren Studierenden von „Fashion Journalism & Communication“ bei, dass Modejournalismus eben nicht nur „das Leichte“ ist, sondern ernst zu nehmen. „Man muss ein Amt bekleiden – und das wird in Deutschland jetzt nicht mehr unterschätzt“, sagt sie. „Stil ist Macht und macht Macht sichtbar.“ In Deutschland habe das zwar etwas länger gebraucht, aber es etabliere sich. „In den angelsächsischen Ländern oder in den in Frankreich oder Italien wird über die Kleidung von Politikern und Politikerinnen auch in ganz seriösen Medien schon länger berichtet.“

Tatsächlich beschäftigt sich zum Beispiel Vanessa Friedman, die Stilkritikerin der New York Times, ausführlich mit der Kleidung politischer Prominenz. Dennoch fügt sie in ihren Online-Artikel „Kamala Harris kleidet sich, um Präsidentin zu werden“ einen deutlich hervorgehoben Absatz ein, mit der Frage „Warum berichten wir darüber, was Politikerinnen oder Politiker anziehen?“. Die Antwort: „Ich versuche die Strategie hinter dem Stil zu verstehen, egal ob ein Mann oder eine Frau kandidiert.“

Ist Kleidung ein Frauenthema?

Friedman kommt damit dem oft geäußerten Vorwurf zuvor, das Äußere von Politikerinnen werde in den Medien viel öfter besprochen als das ihrer männlichen Kollegen.

Aktuelle, belastbare Zahlen, finden sich dazu nicht. Der Eindruck, dass in Deutschland zum Beispiel Annalena Baerbocks Kleider mehr Raum in der Berichterstattung einnehmen als die Anzüge von Olaf Scholz, stellt sich bei der Recherche aber bald ein – deutlich in den Boulevard- und Hochglanzmedien, etwas weniger in den eher seriösen oder progressiven Medien. Zumindest wird der Reflex dort seit einiger Zeit schon reflektiert.

Screenshot Foto: Bei der Vereidigung der Bundesminister und -ministerinnen 2018 tragen Franziska Giffey und Julia Klöckner dieselbe blaue Blazer-Kleid-Kombination

Screenshot Vice, 15.3.2018 Foto © Vice

Als 2018 Julia Klöckner und Franziska Giffey, damals Ministerinnen der Großen Koalition, im nahezu gleichen blauen Outfit zu ihrer Vereidigung im Bundestag auftauchten, war – basierend auf einer dpa-Meldung – vom „Garderoben-GAU“ die Rede. RTL und die Bild mutmaßten angestrengt humorvoll, dass die beiden Damen ja demnächst vielleicht zur gemeinsamen Shopping-Tour gehen könnten – „anstatt einer Kabinettsitzung“. Niemand empfahl den Herren der GroKo, doch demnächst mal gemeinsam unterschiedliche Farben für den Anzug zu bestellen und die Haushaltsberatungen zu schwänzen. Doch immerhin merkten andere Medien wie Vice oder die Welt an, dass die Aufregung doch etwas absurd und die Uniformität der männlichen Minister ja auch keinen Kommentar wert sei.

Screenshot Foto: Im Bundestag sitzen Franziska Giffey und Julia Glöckner in der  gleichen blauen Kostümjacke nebeneinander

Screenshot RTL, Foto © Picture Alliance

Screenshot ntv: Ein Hand mit blauem Einmalhandschuh hält die faltige Hand eines alten Menschen

Screenshot RTL, 28.8.2019, Foto © Christian Thiel,
Imago Images

Johanna Dürrholz, Redakteurin beim FAZ-Magazin, rechtfertigte das Ungleichgewicht in der Berichterstattung 2020 in einem Online-Kommentar: „Kleider senden Signale, bewusste und unbewusste. Das wissen Männer wie Frauen in der Politik. Frauen in der Politik aber schöpfen die Möglichkeiten dieses Machtmittels sehr viel geschickter aus als Männer“. Es sei also „nicht sexistisch, darüber zu schreiben, was Frauen in der Politik für Signale senden, die möglicherweise darüber hinausgehen, was männliche Kollegen zeigen. Allerdings könnten Berichterstatter damit beginnen, sich auch die Kleidung männlicher Politiker vermehrt vorzuknöpfen. Wenn diese bloß nicht so langweilig wäre!“ Die Kritik an der Kritik, so fügte sie hinzu, wäre auch eine Form der Abwertung. Schließlich sei es ebenso wenig verwerflich sich zu schminken und zu kleiden, wie das auch zu besprechen – solange man nicht kommentiere „wie hübsch der Anzug etwaige Kurven betont“. Denn „dann ginge es tatsächlich nur darum, dass Frauen in diesen Kleidungsstücken gefallen wollen und sollen“.

Häme für ihr Aussehen

Der österreichische Standard titelte 2022 über eine Reise der europäischen Spitzenpolitiker Draghi, Macron und Scholz nach Kiew: „Drei Mann in einem Zug: Häme für Scholz‘ Outfit.“ Mit mehreren Fotos dokumentierte der Internet-Auftritt der Zeitung das Auftreten des Trios. „Der Italiener Draghi zeigt sich leger im blauen V-Ausschnitt-Kaschmirpullover samt weißem Hemd mit etwas schlappem Kragen, Monsieur Macron mit braver Tolle und blütenweißem Slim-Fit-Hemd. Und Scholz? Der kriegt von der italienischen Zeitung La Repubblica eine aufs Dach, die das dunkle Kurzarmhemd des deutschen Kanzlers als ‚aus der Mode gekommen‘ abtut.“ Erwähnt wurde auch, dass Scholz bereits im „Schlabberlook“ zum Amtsantritt nach Washington gefahren war. Dieser in den Medien viel kritisierte Pulli war übrigens ein teures Kaschmirmodell der Hamburger Designermarke Omen.

Häme für ihr Aussehen erfahren also mittlerweile auch männliche Politiker – manchmal sehr deutlich und nicht ganz frei von Stereotypen. Denn es ist fraglich, ob sich ein Medium trauen würde, einer Frau Schlabbrigkeit zu attestieren.

Beim Thema „Haare als politisches Statement“ wählte die Rheinische Post für eine Bildergalerie 2023 für sieben von zehn Fotos Männer aus – darunter Donald Trump und Boris Johnson. Vielleicht sind die Herren da einfach markanter und bieten eine bessere Vorlage für Ironie: „Schnörkellos wie seine ganze Art ist auch die Frisur von Bundeskanzler Olaf Scholz.“

Screenshot Foto: Donald Trump mit seinen fluffigen, mittlerweile weißen Haaren

Screenshot RP, 24.11.2023
© Jeena Moon, UPI Photo/Imago

Screenshot Foto: Der britische Ex-Premierministerpräsident Boris Johnson mit seiner flatterigen, blonden Sturmfrisur

Screenshot RP, 24.11.2023
©Richard Drey, dpa

Screenshot Foto: Bundeskanzler Olaf Scholz und sein nahezu kahler Kopf

Screenshot RP, 24.11.2023
© Michael Kappeler, dpa

Süddeutsche-Redakteurin Tanja Rest schrieb im bereits erwähnten Beitrag „Annalena Baerbock: Kleid und Vorurteil“ von 2022: „Die Beobachtung, dass der Blazer der Verteidigungsministerin akkordeonhafte Falten wirft, würde einem zu Recht als substanzlos um die Ohren gehauen. Hätten Sie, lautet in solchen Fällen die rhetorische Frage, etwas Ähnliches auch über einen Mann geschrieben? Die Antwort lautet ehrlicherweise: Ja. Das nicht nur von Hardcore-Feministinnen gepflegte Dogma, wonach es in der Politik schon immer die Frauen waren, die zur Oberfläche wurden, hat nämlich nie ganz gestimmt. Der birnenförmige Koloss Kohl, Genscher im gelben Kult-Pullunder, der Brioni-Kanzler Schröder, der in einen Dreiteiler hineingeschrumpfte Außenminister Fischer, der großkarierte Alexander Dobrindt, Heiko Maas mit seinen schmalen Anzügen, der Toni mit seiner Hofreiter-Frisur: Sie alle waren oder sind Gegenstand ausführlicher Betrachtung durch die Medien und den politischen Gegner.“

Dennoch macht sie einen Unterschied deutlich: „Die Turnschuhe des jungen Joschka Fischer und die Pumps der heute ähnlich jungen SPD-Politikerin Sawsan Chebli sind dennoch zwei Paar Stiefel. Frauen haben sich ihren Platz am Rednerpult später und ungleich mühsamer erarbeiten müssen als Männer, das Nicht-ernst-genommen-Werden ist für viele bis heute ein Phantomschmerz, für manche immer noch Realität. Und man kann eine Politikerin eben kaum gründlicher nicht ernst nehmen, als wenn man sich nur auf ihr Äußeres konzentriert.“ Hinzu kommt, dass Politikerinnen außerhalb des Journalismus im Netz immer noch sehr viel mehr Abwertung und Schmähungen für ihr Äußeres erfahren als ihre männlichen Pendants.

Screenshot mit drei Fotos der Politikerinnen Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Ricarda Lang und Alice Weidel

Screenshot Corrigenda, 2.4.2024 Fotos © Imago / Future Image / Chris Emil Janßen / Future Image

Gelten für Frauen andere Maßstäbe?

Miriam Hollstein, Chefreporterin Politik beim Stern, wählte für den Jahresrückblick 2023 eine Anekdote über die Schuhe von Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Truppenbesuch in Mali. Seine Vorgängerin Christine Lamprecht hatte im Jahr zuvor an gleicher Stelle im Wüstensand Pumps getragen – und Hollstein hatte das kritisiert, weil es ihr „typisch erschien für die Weigerung der Politikerin, sich auf ihre Rolle als Verteidigungsministerin einzulassen“. Pistorius trug dagegen „braune Kampfstiefel der Bundeswehr, dazu ein sandfarbenes Hemd und Jeans. Hollstein räumte ein: „Natürlich ist auch das eine demonstrative Geste.“ Aber es passe eben auch ins Bild des Mannes, der „den Soldatinnen und Soldaten ein zugewandter, nahbarer Chef“ sein wolle. Und sie schlussfolgerte: „Nun sollte das Äußere nie ein entscheidendes Kriterium im Urteil über einen Politiker oder eine Politikerin sein.“ Aber: „Wenn Kleidung symbolisch für die Politik eines Ministers oder einer Ministerin steht, dann ist sie zurecht auch ein Politikum.“ Nun hätte seine Vorgängerin selbstverständlich auch Bundeswehrstiefel tragen können. Zu vermuten ist aber: Wäre Pistorius oder ein anderer männlicher Politiker in seinen üblichen Anzugschuhen gekommen, wäre das weitaus weniger plakativ und kommentarwürdig als die Pumps gewesen.

In ihrem 2023 erschienenen Buch „Gender und Leadership. Führung jenseits der Geschlechterklischees“ zieht die Berliner Medienprofessorin Brigitte Biehl das Fazit, „dass Frauen nach wie vor ständig diese widersprüchlichen Vorstellungen ausbalancieren müssen: zwischen elegant, attraktiv, nicht zu freizügig, nicht zu feminin, bloß nicht zu sehr wie Mutter“. Sie versuchen männliche und weibliche Zuschreibungen gleichermaßen zu verkörpern, was auch als „cross-dressing to power“ beschrieben wird.

Hinzu kommt, so Lifestyle-Journalist Daniel Kalt, wer täglich viele Entscheidungen treffen müsse, möchte das nicht auch noch bei der Garderobe tun. Ein Stil, ein paar Grundelemente – und eine Stylistin oder ein Berater – nehmen das ab. So entsteht das sogenannte „Uniform Dressing“, das Angela Merkel perfektioniert hatte: flache Schuhe, dunkle Hosen und dazu immer ein Blazer ähnlichen Schnitts. Allein die vielen knalligen Farben sorgten für Abwechslung und dafür, dass sie stets auf Gipfel- und Konferenzbildern aus der grau-schwarzen Anzugmasse herausstach.

„Diese Frauen kleiden sich um ihrer selbst willen schön.“

Doch das hat sich geändert. 2022 beschrieb die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) unter dem Titel „Junge Frauen erobern die Macht“ ausführlich Handlungen und Worte von internationalen Politikerinnen. Einer von rund 70 Absätzen widmet sich dem Thema Kleidung: „Auf den Gruppenfotos der Gipfeltreffen greift Farbe Raum: zwischen dem üblichen Grau bunte Kleider, feminine Eleganz, hohe Absätze. Der geschlechtsneutrale Hosenanzug zu bequemen Leisetretern scheint ausgedient zu haben. Die Spitzenpolitikerinnen zeigen ein neues Selbstbewusstsein, nicht länger bereit, sich äußerlich zu neutralisieren, um auf die Potenz ihrer Köpfe hinzuweisen oder um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, sie nutzten die ‚Waffen der Frauen‘. Wer das noch immer glaubt, hört die Glocken nicht. Dies Frauen kleiden sich um ihrer selbst willen schön.“

Sehr interessant ist die Bebilderung des Beitrages: Die Politikerinnen farbig im beschriebenen Outfit bei offiziellen Anlässen, die Männer um sie herum sind auf den Bildern nur weiße Silhouetten.

Screenshot Foto: Sanna Marin, die ehemalige Ministerpräsidentin von Finnland läuft in weißem Blazer, Hosen und Pumps neben Männern, die nur als weiße Silhouetten zu erkennen sind.

Screenshot NZZ, 1.10.2022, ©NZZ-Montage mit Foto von Heikki Saukkomaa, picture Alliance/dpa/Lehtikuva

Das Hosenanzug-Statement

Modejournalismus-Professorin Sabine Resch sagt: „Da sind wir in Deutschland tatsächlich mal einen Schritt weiter als die USA. Wir hatten ja schon eine Kanzlerin. Mit ihr ist der Hosenanzug – und damit das Statement „keine Experimente“ – abgetreten. Die Vereinigten Staaten hatten noch keine Präsidentin. Kamala Harris tritt an als Frau und als Person of Color. Sie muss konservativen Wählern und Wählerinnen jetzt ebenfalls signalisieren, dass es mit ihr keine Experimente geben wird.“ Dafür wählt sie den Hosenanzug, allerdings meist einfarbig in Hose und Blazer und mit hohen Absätzen. Und sie achtet mit Bedacht auf ein makelloses Äußeres.

Die Barbara Lee Family Foundation in den USA untersucht seit 25 Jahren politische Kandidaturen von Frauen. Eine Studie vor zwei Jahren ergab, dass die Wähler und Wählerinnen in den Staaten bei Kandidatinnen noch weniger tolerant sind, wenn das Haar schlecht sitzt oder der Kragen verknittert ist. Sind sie nachlässig in ihrer Kleidung, sind sie es wohl auch in ihrem Denken, so die Überzeugung.

Neben all dem Feiern der „femininen Eleganz“ sollte man allerdings nicht vergessen, dass der Hosenanzug einmal eine Errungenschaft war. Die Bundestags-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer löste 1970 einen Skandal aus, weil sie als erste Frau in einem Hosenanzug eine Rede im Bundestag hielt. Bundestags-Vizepräsident Richard Jaeger (CSU) hatte zuvor erklärt, er würde es keiner Frau erlauben, so vors Plenum zu treten. Auf dem Kapitol in Washington sorgte erst im Jahr 1993 die sogenannte „Pantsuit Revolution“ einiger Repräsentantinnen dafür, dass die Kleiderordnung ihnen keine Hosen mehr verbat.

Vielleicht ist das sogar der wesentliche Unterschied in der weiblichen und männlichen Stilkritik. Bei Frauen wird kommentiert, ob sie ihre „Weiblichkeit“ zeigen oder verbergen. Doch wo hätte man schon einmal gelesen, ein Mann verberge oder zeige eine Männlichkeit? Mal abgesehen vielleicht davon, wenn Wladimir Putin oben ohne auftritt. Dabei, so urteilt Sabine Resch, sind es doch die Männer, die ihre Männlichkeit verbergen. „Wir in Europa denken, dass der Mann im Hosenanzug auf die Welt gekommen ist. Den gibt es aber erst seit der Französischen Revolution. Früher trugen Männer breite Schultern, schmale Hüften und Schamkapseln mit Diamanten. Das war ein Push up für den Penis.“

Straßenszene: Ein alter Mann läuft mit einem Rollator. Neben ihm eine alte Frau ebenfalls mit Rollator.

Screenshot CNN, 9.11.2020, Foto ©Sarah Silbiger/Bloomberg/Getty Images

Was ist Botschaft, was Interpretation?

Doch Kleidung betont oder verbirgt nicht nur den Körper. Sie kann auch Botschaften vermitteln. So verweist der weiße Hosenanzug von Kamala Harris auf die amerikanischen Suffragetten, die Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht. Harris trug ihn bei ihrer ersten Rede als designierte Vizepräsidentin der USA und würdigte deren „Kampf, ihre Entschlossenheit und die Stärke ihrer Vision“. Sie stehe „auf ihren Schultern“. Und mit ihren Perlenketten zeigt sie ihre Verbundenheit zu studentischen Verbindungen Schwarzer Frauen, die solche „Power Pearls“ tragen.

Darüber hinaus sind die Deutungsmöglichkeiten von Farben oder anderen Symbolen jedoch vielfältig. Schließlich hat auch Ivanka Trump, Tochter von Donald Trump und seine politische Beraterin, schon weiße Anzüge getragen. Und es ging das Gerücht, auch Angela Merkel wolle mit der breiten Farbpalette ihrer Blazer bestimmte Botschaften aussenden.

Screenshot Foto: Die Ex-Bundeskanzlerin in einem gelben Blazer mit Überschrift: Angela Merkel und ihre Blazer: Farbenlehre mit der Bundeskanzlerin

Screenshot NZZ, 31.3.2021, Foto © Keystone

Eine einheitliche Entschlüsselung nach dem Motto „Grün steht für hoffungsvolle Verhandlungen“ gelang aber nicht. Trotzdem hält Sabine Resch solche Interpretationen nicht für oberflächlich. „Das gehört zur Wahrnehmung dazu. Und vielleicht stimmt das Signal ja, dass der Journalist oder die Journalistin gerade wahrnimmt. Wenn ein Politiker immer auf Ordnung Wert legt, aber dann ungeputzte oder ausgelatschte Schuhe anhat, dann heißt das ja etwas.“

Wieviel darf ein Styling kosten?

In Zeiten der Styling-Budgets in Ministerien kommt ausgetretene Schuhe allerdings eher selten vor. Diese Budgets waren ein Medienthema, nachdem der Bund der Steuerzahler kritisierte, dass die Ampelregierung 2022 rund 1,5 Millionen Euro für Fotografen, Friseure und Visagisten ausgegeben habe „Das sind nach Angaben des BdSt fast 80 Prozent mehr als im Vergleich zu 2021, wo überwiegend noch die Große Koalition unter Angela Merkel regierte“, schreib die Berliner Zeitung.

Den größten Posten gab es im Außenministerium bei Annalena Baerbock – rund 11.000 Euro im Monat. „Friseur-Wucher“ titelte da das Boulevard-Blatt BZ. Und Focus Online interviewte eine Friseurin, die der Außenministerin vorschlug: „Noch besser wäre es, die Ministerin würde über weite Strecken ganz auf eine Stylistin verzichten und selbst Hand anlegen. Sie könnte ein Seminar besuchen, in dem sie dafür fit gemacht wird. Ich sag mal so: Frau Baerbock ist ja nicht ständig zu offiziellen Anlässen unterwegs. Da wird es auch Tage geben, an denen sie nur im Büro ist. Für solche Tage sollte es das doch tun, wenn sie sich die Haare selbst macht“.

Andere Medien verglichen allerdings auch die Ausgaben mit denen französischer Präsidenten, die vergleichbar tief in die Steuerkasse griffen oder erklärten, dass viele Auslandsreisen eben eine mitreisende Visagistin erforderten und dass auch der Kanzler „ein nettes Sümmchen“ dafür“ ausgebe. Insgesamt finden auch die Boulevardmedien ihre „strahlende“ Außenministerin ziemlich gut und äußern Verständnis dafür, dass dies etwas kostet. „Die Wellen der Berichterstattung sind da doch schnell abgeebbt“, meint Sabine Resch. „Vor zehn Jahren hätten die wohl noch höhergeschlagen.“

Titelbilder in Modemagazinen – keine Berührungsängste

Auch der klassische Modejournalismus und Politikerinnen kommen sich näher. 2020 posierten elf weibliche Bundestagsabgeordnete in Kleidung von deutschen Designer*innen für das Magazins der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Politik mit Mode“. Der Tagesspiegel betitelte damals seinen Bericht darüber mit der Frage „Dürfen die das?“ Christina Holtz-Bacha, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg meinte dazu „Das Verhältnis von Politik und Mode ist heikel“, und erklärte, dass es bei sehr weiblicher oder auffälliger Kleidung schnell nur noch darum gehe, wie eine Politikerin aussehe und nicht, was sie sage. Das Shooting war ein Projekt der German Fashion Designers Federation und Kuratoriumsmitglied Renate Künast hatte dafür Überzeugungsarbeit bei den Kolleginnen geleistet: „Klar, manche hatten anfangs Sorge, wie Modepüppchen auszusehen“, erzählte sie. „Du wirst dann doch nicht mehr ernst genommen, hieß es zum Beispiel.“

Zwei Jahre später prangte erstmals eine amtierende Politikerin auf dem Titel der deutschen Vogue: die Grünen-Politikerin Aminata Touré, Ministerin in Schleswig-Holstein. Die junge, Schwarze Politikerin war schon auf Social Media souverän mit Trendthemen umgegangen und hatte auch hier keine Berührungsängste. In den USA behandelt die Vogue schon lange regelmäßig politische Themen. Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez referierte in der Onlineausgabe des Magazins in einem Make-up-Tutorial über ihre politischen Positionen. „Geist und Glamour gehen in den USA zusammen. Kamala Harris war noch nicht vereidigt als Vizepräsidentin“, so Sabine Resch, „da gab es schon eine Vogue mit ihr als Coverwoman. Michelle Obama war mehrfach auf dem Cover – Melania Trump aber nie.“

Eine alte Frau mit einem Akkuschrauber und zwei Freundinnen bereiten eine Lampenmontage vor

Screenshot Vogue: Kamala Harris, 12.1.2021, Foto © Tyler Mitchell

Eine alte Frau mit einem Akkuschrauber und zwei Freundinnen bereiten eine Lampenmontage vor

Screenshot Vogue: Margot Friedländer, 17.1.2024, Foto © Mark Peckmezian

In diesem Sommer setzte die deutsche Vogue ein noch deutlicheres Zeichen und hob die 102-jährige Holocaust-Überlebende und aktive Zeitzeugin Margot Friedländer aufs Cover. Mit dem Titel „LOVE – Ein Plädoyer für das Miteinander“ trägt sie einen roten Mantel von MIU MIU, am Kragen das Bundesverdienstkreuz wie eine Brosche. „Das ist ein Spiegelbild dessen, was sich getan hat, dass Modemagazine jetzt ganz selbstverständlich über Politik und Gesellschaft berichten“, sagt Modejournalistin Sabine Resch. Und Daniel Kalt wagt in seinem Buch „Staat tragen“ die Prognose: „Vielleicht wird es für die nächste deutsche Kanzlerin oder die erste US-Präsidentin eine Selbstverständlichkeit sein, sich für Vanity Fair, Harper’s Bazaar oder eben eine Vogue stylen zu lassen und vor die Kamera zu treten. Oder eben für Cis- oder Transmänner in derselben Position (dann allerdings wahrscheinlich eher für GQ oder Esquire).“

Portrait Angelika Knop

@ Christiane Kappes

Angelika Knop

Gastautorin

Journalistin und Moderatorin, berichtet über Recht und Justiz, Medien und Frauenpolitik. Sie sieht Gendern als Prozess, verfolgt Trends und Debatten, nutzt das Sternchen und übt den Glottisschlag. Manchmal wünscht sich Angelika Knop sehnlichst neutrale Begriffe, wenn das Geschlecht gerade nichts zur Sache tut.

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