Eine Männerfaust unübersehbar in der Bildmitte, bereit zum Schlag. Auf dem Sofa im Hintergrund kauert, nur schemenhaft zu erkennen, zusammengekrümmt eine Frau. Oder in einer Zimmerecke. Oder auf einem zerwühlten Bett. Das Bild ist ein wiederkehrendes Motiv, wenn die Medien über Partnerschaftsgewalt berichten. Die stereotype Darstellung macht die thematische Zuordnung im Bruchteil von Sekunden möglich. Allerdings ist sie irreführend und wirkt im schlimmsten Fall retraumatisierend.
Zur Tagung „Mächtig daneben? Oder BILDERMÄCHTIG?“ am 30.11.2023 in Frankfurt am Main hatte der Journalistinnenbund e.V. Prof. Dr. Christine Meltzer zu einem Fachgespräch eingeladen. Die Kommunikationswissenschaftlerin diskutierte mit Expert*innen aus der Praxis, darunter viele Fotografinnen, über die Möglichkeiten einer besseren Bebilderung journalistischer Beiträge. Das Ergebnis des intensiven Austauschs ist dieser Leitfaden, notiert von Christine Meltzer.
Leitfaden zur Bebilderung von Medienbeiträgen zu Gewalt an Frauen
Dieser Leitfaden sollte als Richtlinie dienen, um eine ausgewogene, sensible und informative mediale Darstellung von Gewalt gegen Frauen zu fördern. Er kann je nach spezifischem Kontext und Medium angepasst werden und ist als work in progress zu sehen, das keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Er soll vielmehr als Grundlage dienen, um eine reflektierte und verantwortungsbewusste mediale Abbildung zu fördern und die bestehenden Leitfäden zu journalistischer Aufbereitung des Themas ergänzen.
Die Rolle von Bildern beim Thema Gewalt gegen Frauen
Bilder haben die Kraft, Emotionen zu wecken und komplexe Themen zu vermitteln. In diesem Kontext unterliegt die Verwendung von Bildern einer besonderen journalistischen Verantwortung. Unsensibler Umgang mit Bildern und Bildsprache kann nicht nur das Leid der Betroffenen verstärken, sondern auch zu Verzerrungen in der Problemwahrnehmung führen.
Gewalt an Frauen ist oft von Tabus umgeben. Die mediale Repräsentation des Themas kann dazu beitragen, diese Tabus zu brechen und Verständnis zu fördern. Allerdings besteht das Risiko, dass durch stereotype oder klischeehafte Darstellungen falsche Vorstellungen und einseitige Perspektiven entstehen. Insbesondere bei partnerschaftlicher Gewalt, die oft im Verborgenen stattfindet, ist die Wahl der Bildsprache entscheidend, um eine authentische und nuancierte Sichtweise zu vermitteln.
Ein unsensibler Umgang mit Bildern reduziert Gewalt gegen Frauen häufig auf bestimmte, klischeehafte Szenarien, wie etwa den Überfall durch einen Fremdtäter in dunklen Gassen. Dies verzerrt nicht nur die Realität, sondern kann auch dazu führen, dass andere Formen von Gewalt, insbesondere die in vertrauten Räumen und durch bekannte Personen, vernachlässigt werden.
Gleichzeitig können Bilder das Verständnis von Gewalt prägen. Das häufig gezeigte Bild einer erhobenen Faust kann dazu führen, dass Frauen sich selbst nicht als betroffen wahrnehmen, wenn sie nicht physisch misshandelt wurden. Diese Darstellungen neigen dazu, die Vielfalt von Gewaltformen, einschließlich psychischer Gewalt, Bedrohungen, Nötigungen und anderen subtileren Formen, zu verschleiern. Ein solcher Fokus hat zur Folge, dass frühzeitige Warnzeichen für eine Gewaltbeziehung von Betroffenen und Angehörigen übersehen werden.
Es besteht daher die dringende Notwendigkeit, eine Bildsprache zu entwickeln, die der Komplexität des Themas gerecht wird und gleichzeitig die Würde und Privatsphäre der Betroffenen schützt. Folgende Punkte können für die Bebilderung des Themas Gewalt an Frauen beachtet werden.
Tipps für Bilder beim Thema Gewalt an Frauen und Kindern
Privatsphäre schützen
Gewährleisten Sie den Schutz der Privatsphäre von Betroffenen, insbesondere von Frauen und Kindern. Vermeiden Sie Detailaufnahmen, die die Identifikation ermöglichen könnten – sofern dies nicht explizit abgesprochen wurde.
Kongruenz von Text und Bild herstellen
Achten Sie darauf, dass Text und Bild inhaltlich übereinstimmen.
Beispielsweise sollten Bilder, die die Eröffnung eines Frauenhauses begleiten, eine positive Atmosphäre und Stärke vermitteln, anstatt ausschließlich traurige Frauen zu zeigen.
Empowernde Bilder für die Lebenssituation von Frauen in Frauenhäusern finden sich im Creative Commons Fotopool „Empowering Connections“. Bildermächtig hat die Entstehung des Projektes vorgestellt.
Klischees vermeiden
Gewalt ist vielfältig – und findet überall statt. Sie betrifft Frauen aus allen Einkommens- und Bildungsschichten.
- Verzichten Sie auf gängige Klischees wie symbolische Bilder von dunklen Gassen, schwarzen Schatten, großen Händen, Messern oder leeren Schaukeln.
- Vermeiden Sie die immer gleiche Abbildung der erhobenen Faust gegen eine geduckte Frau. Diese können irreführende Vorstellungen von Gewalt erzeugen.
- Nutzen Sie keine Bilder, die fälschlicherweise das Problem der Gewalt der „Unterschicht“ zuweisen oder auf ein Migrationsproblem reduzieren, z.B. durch die Abbildung von Männern in Unterhemden, mit Bierdosen etc.
Vielfalt der Betroffenen zeigen
Berücksichtigen Sie die Vielfalt von Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen, einschließlich Altersgruppen, sozialem Status, Herkunft, Kultur und Religion.
- Integrieren Sie auch die Perspektiven von Personen, die überproportional betroffen sind, wie Frauen mit Behinderung, Frauen mit Fluchtgeschichte oder obdach- und wohnungslose Frauen.
- Gewalt gegen Frauen in Deutschland ist ein strukturelles Problem. Vermeiden Sie die Singularisierung von Opfern; betonen Sie eher die Vielzahl betroffener Frauen.
- Nutzen Sie Bilder von großen Gruppen oder von vielen Gesichtern, um auf die Verbreitung und Vielfalt von geschlechtsbasierter Gewalt hinzuweisen.
- Bilder von involvierten Institutionen eignen sich, um auf strukturelle und gesellschaftliche Dimensionen hinzuweisen, die geschlechtsbasierte Gewalt beeinflussen können.
Täterperspektive und Retraumatisierung verhindern
Der Fokus sollte auf den Erfahrungen und der Perspektive der Betroffenen liegen, um eine empathische Verbindung herzustellen.
- Vermeiden Sie visuelle Darstellungen aus der Perspektive des Täters, z.B. Blick auf die Frau von oben oder eine sexualisierte Bildsituation.
- Achten Sie darauf, dass Bilder keine Gewalttaten reproduzieren: Verzichten Sie auf explizite Darstellung von Faustschlägen und ähnlichen physischen Übergriffen oder auch auf das Zeigen von Verletzungen wie Hämatome.
Eine solche bildliche Darstellung kann traumatisierend für die Betrachterin sein. Sie führt dazu, dass Gewalt in einer isolierten und sensationalisierten Weise wahrgenommen wird.
Stattdessen sollten Bilder so gewählt werden, dass sie die Schwere der Thematik respektvoll behandeln, ohne explizite Gewaltszenen zu zeigen.
Die Fokussierung auf die emotionalen und psychologischen Aspekte von Gewalterfahrungen kann dabei helfen, das Verständnis zu vertiefen, ohne eine retraumatisierende Wirkung zu erzeugen.
Soziales Umfeld einbeziehen
Auch das soziale Umfeld hat Handlungsoptionen zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen.
- Zeigen Sie Frauen in ihrem sozialen Umfeld – oder auch nur das soziale Umfeld von Betroffenen.
- Betonen Sie visuell die unterstützende Rolle von Familie, Freundinnen und Freunden oder auch von Kolleginnen und Kollegen bei der Bewältigung von Gewaltsituationen.
Aufarbeitungs- und Heilungsprozesse darstellen
Zeigen Sie nicht nur bedrohliche Situationen, sondern betonen Sie auch den Prozess der Aufarbeitung und Heilung. Bilder können eine positive Stimmung und den Mut der Betroffenen vermitteln, Strategien zur Überwindung von Gewalt zu entwickeln.
Politischen Protest und Aktionen zeigen
Bilder, die das entschlossene Handeln gegen Gewalt zeigen, sind mächtige Werkzeuge, um positive Veränderungen zu fördern. Dies können beispielsweise Aufnahmen von Aktionen, wie z.B. Demonstrationen gegen Gewalt sein. Diese Bilder vermitteln eine starke Botschaft des Widerstands und der Solidarität, stärken das Empowerment und fördern das Verständnis für die Bedeutung kollektiver Aktionen gegen Gewalt an Frauen.
Vielfältige Darstellungsformen nutzen
Bilder zur Illustration von Gewalt an Frauen müssen nicht zwangsläufig Fotos von Personen enthalten.
- Erwägen Sie den Einsatz stimmungsvoller Fotos, um eine Atmosphäre zu erzeugen, ohne dabei individuelle Personen sichtbar zu machen.
- Durch alternative visuelle Elemente wie hervorgehobene Zitate, Symbole oder die Abbildung von Telefonnummern von Hilfseinrichtungen können Sie auf eine andere, nichtdirekte Art und Weise Informationen vermitteln.
- Auch die Abbildung der Handgeste für Betroffene (Handfläche zeigen, Daumen einlegen, Faust schließen) kann als Symbolfoto dienen. Dies trägt gleichzeitig zur Aufklärung bei.
- Solche symbolischen Darstellungen ermöglichen es, auf die Realität von Gewalt hinzuweisen. Sie schaffen auf subtile Art und Weise Bewusstsein für das Thema Gewalt gegen Frauen.
Verwendete Quellen
Hinweise für die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen und Kinder, bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V. (2023)
Verantwortungsvolle Berichterstattung für ein gewaltfreies Leben. Anregungen zur medialen Prävention von Gewalt an Frauen und ihren Kindern. Geiger, Brigitte/Wolf, Birgit, Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (2014)
„Pressekodex angewandt. Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen“, Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein e.V. (2022)
„Kein Familiendrama? Berichterstattung über Femizide und der Umgang mit Überlebenden und Angehörigen“, in der Fachzeitschrift Journalist (2023)
„Mehr Fokus auf die Strukturen. Wie Medien verantwortungsvoll(er) über die Gewalt gegen Frauen berichten können“. Christine Meltzer, veröffentlicht in Communicatio Socialis, 56(3), 339-349 (2023)
Prof. Dr. Christine Meltzer
Gastautorin
Die Kommunikationswissenschaftlerin ist Juniorprofessorin am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Für die Otto Brenner Stiftung hat Christine Meltzer 2021 die Initialstudie veröffentlicht: „Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt an Frauen berichten“. Die Studie wird ab 2024 fortgeführt.
Bewusster umgehen mit Gewalt in Film und Serien: Impulspapier
Kino- und Fernsehfilme zeigen häufig von Gewalt an Frauen, selbst wenn sie das Thema kritisch beleuchten wollen.
Die Organisationen Women in Film & Television Germany (WIFT), MaLisa Stiftung und Bundesverband Schauspiel (BFFS) haben im November 2023 gemeinsam das Impulspapier „Geschlechtsspezifische Gewalt in Kino, Streaming und Fernsehen“ veröffentlicht.
Ausgangspunkt war ein Online-Think-Tank mit Expert*innen zu den wichtigen Fragen: „Wie können wir Gewalt gegen Frauen erzählen, frei von Stereotypen, Klischees oder einem voyeuristischen Blick? Kann sie erzählt werden, ohne sie direkt zu zeigen? Wie kann die Perspektive der Opfer / Betroffenen dargestellt werden und wie können die Strukturen von Gewalt gegen Frauen deutlich gemacht werden?“
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