Online trägt die Aufmerksamkeitsspanne nur bis zum nächsten Wischer. Brauchen wir Stereotype im Bildjournalismus, um Interesse für unsere Artikel zu wecken? Oder können wir bei Bildergeschichten auf Stereotype verzichten? Fragen, die wir als Projekt Genderleicht & Bildermächtig mit angehenden Bildjournalist*innen diskutieren wollten.
Im Wintersemester 2023/24 haben wir mit Prof. Lars Bauernschmitt von der Hochschule Hannover das Seminar „Stereotype in der journalistischen Fotografie“ veranstaltet. Zusammen mit der Fotografin und Spezialistin für Bildrechte Sabine Pallaske traf ich als Projektleiterin alle 14 Tage eine Gruppe Studierender im Studiengang „Visual Journalism and Documentary Photography“. Sie präsentierten ihre Bildrecherchen zu selbstgewählten Themen, fanden alternative Fotoprojekte und entwickelten eigene Ideen für Fotogeschichten ohne Stereotype.
Hat der Bildjournalismus eine Zukunft?
Bei dieser Gelegenheit wollte ich von Prof. Bauernschmitt erfahren, wie die Ausbildung an der Hochschule Hannover läuft, und ob sich der Fotojournalismus durch KI aus seiner Sicht langfristig verändern wird.
Interview mit Lars Bauernschmitt
Seit 2008 ist Lars Bauernschmitt Professor an der Hochschule Hannover, Studiengang Visual Journalism and Documentary Photography. Zuvor leitete er als Geschäftsführer die Fotoagentur Visum. Im d.punkt Verlag Heidelberg ist sein Handbuch des Fotojournalismus erschienen, ein Grundlagenwerk.
Haben Ihre Studierenden eine Chance im Bildjournalismus Fuß zu fassen? Wir sehen so viel Stockfotografie, wer braucht noch Pressefotograf*innen?
Im Bildjournalismus liegen quasi die Wurzeln unseres Studiengangs. Aber die Menschen, die wir ausbilden, arbeiten danach nicht nur im Journalismus, sondern auch in der PR, in der Unternehmenskommunikation, zum Teil auch in der Werbung, wo mit bildjournalistischen Stilmitteln gearbeitet wird.
Medien brauchen heute viel mehr Fotos, gerade bei ihren Online-Auftritten. Gleichzeitig leisten sich nur wenige Tageszeitungen eine Bildredaktion. Wo gibt es noch Jobs?
Bezogen auf Zeitungen ist das richtig. Bezogen auf Zeitschriften und Magazine gibt es sehr wohl noch Bildredaktionen, zum Teil sogar sehr große. In denen sind auch viele unserer ehemaligen Studierenden tätig: Beim SPIEGEL, bei der ZEIT, bei der F.A.Z., bei der Süddeutschen, sowohl in der Bildredaktion als auch als Fotografinnen oder Fotografen.
Henner Flohr, Leiter der F.A.Z.-Bildredaktion, berichtet im Instatalk mit Eldagsen und Hagemann von der Deutschen Fotoagentur von Praktikant*innen, die von dieser Hochschule kommen. Wie läuft diese Kooperation?
Wir haben zwei feste Praktikumspartnerschaften: mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung. Da sind regelmäßig, immer für ein halbes Jahr, Studierende von uns für ein Praktikum. Sie sind fest in den Redaktionsalltag eingebunden und in der Fotografie. Gleichzeitig sind ständig Studierende von uns auch beim SPIEGEL, ZEIT, STERN, in Museen und Galerien, in PR-Unternehmen, in Verlagen. Wir sind eine Fachhochschule. Wir haben die Aufgabe, junge Menschen für eine praktische Tätigkeit auszubilden und darauf vorzubereiten.
Wie sieht es mit dem journalistischen Anspruch aus: Wir sind zu Sorgfalt und Wahrheit verpflichtet. Werbung funktioniert etwas anders. Was bringen Sie den jungen Leuten bei?
Genau das: Sorgfältig und wahrhaftig zu arbeiten. Bezogen auf die Bilder bedeutet das, dass durch die Bildbearbeitung keine Manipulation erfolgen darf. Erlaubt ist nur das, was wir in der Dunkelkammer gemacht haben und was früher Konsens war. Worauf wir uns immer berufen, sind die Verhaltensregeln des World Press Foto Awards, wo sehr kleinteilig dargestellt wird, was man als Pressefotograf darf und was nicht.
Stellt die Künstliche Intelligenz das Ganze auf den Kopf?
Die KI verursacht im Moment eine gewisse Hysterie in Teilen der Branche. Die KI erlaubt Bilder zu generieren, das ist eine neue technische Möglichkeit, die nicht mehr verschwinden wird. Wir müssen uns damit auseinandersetzen und überlegen, was sie kann. Wo wir sie brauchen können und wofür sie absolut nicht eingesetzt werden darf. Das ist vergleichbar mit dem Aufkommen der Fotografie in den 1820er Jahren, als die Malerei klären musste, welche Funktion sie jetzt eigentlich noch hat.
Auch in der Vergangenheit gab es schon Fotos, die nie glaubwürdig waren, die aber immer noch fotografiert werden. Wenn zum Beispiel auf einer Tartanbahn fünf Männer über Hürden springen, mit dem Aktenkoffer in der Hand, und das Ganze ein dynamisches Business demonstrieren soll, so war so etwas noch nie glaubwürdig. Solche Art Bilder lassen sich meiner Ansicht nach leichter, einfacher und schneller am Rechner erzeugen.
Zieht sich der Fotojournalismus auf das Dokumentieren von Ereignissen zurück?
Da wo Fotos eine dokumentarische Funktion haben, darf die KI sie nicht ersetzen. Da sollte es kein Vertun geben. Man muss einfach sehen, dass in Zeitungen, Zeitschriften und anderen journalistischen Medien auch nicht-dokumentarische Fotos eingesetzt werden. Das sind oft illustrative Fotos, die den Text mit bildlichen Mitteln unterstützen. Dort hat das Foto keine Beweis- oder Belegfunktion. Da könnten KI-generierte Bilder eingesetzt werden.
Dann haben wir als Bilder in dramaturgischer Funktion, wo sie wie ein Logo, wie ein Signet, wie eine verkürzte Darstellung des Textes funktionieren, so wie in allen journalistischen Medien auch Stock- und Katalogbilder eingesetzt werden. Da sehen ich dann auch Möglichkeiten für die KI, weil diese Bilder keine dokumentarische Funktion haben.
Als Drittes haben wir journalistische Produkte, wo Fotos ganz eigene Inhalte sind. Da sehe ich für die KI keine Funktion.
Es wird sich also eine neue Sortierung des Marktes ergeben?
Ich war fast 20 Jahre lang Geschäftsführer einer Bildagentur, ich kenne das Geschäft. Es gibt eine Menge Bildagenturen, die mit Stockfotos ihr Geld verdienen. Für die wird sich sehr viel verändern: Die werden Bilder jetzt nicht mehr nur von Fotografen bekommen, bzw. Fotografen und Fotografinnen werden auch die KI zur Bilderzeugung einsetzen. Die Agenturen werden möglicherweise auch selber Bilder mittels KI erzeugen. Leute, die mit Stockfotografie Geld verdient haben, müssen sich in der Tat überlegen, ob sie mit der KI nicht schneller und preiswerter zum Ziel kommen.
Aber für Bildjournalistinnen und Bildjournalisten, die mit der Kamera arbeiten, um zu dokumentieren, um ihre Sicht der Welt zu transportieren, werden weiterhin mit der Kamera arbeiten. Die werden auch deshalb gebucht, weil sie mit der Kamera das abbilden, was sich vor der Kamera ereignet hat.
Was sind die Lehrinhalte des Studiengangs?
Wir bringen den Studierenden in der insgesamt achtsemestrigen Ausbildung bei, kürzere und längere Bildstrecken zu fotografieren, Portraitfotografie zu machen, Medienrecht, Medienethik, Fotogeschichte, Bildtheorie. Sie lernen Bildinhalte zu publizieren, sowohl in Print- als auch in Onlinemedien.
Portraits machen übrigens gefühlt fast 80 Prozent der Illustrationen in den Tageszeitungen aus. Da ist gut erkennbar, die sind weit überwiegend inszeniert. Bei der Portraitfotografie lernen unsere Studierenden sehr wohl, auch Inhalte zu inszenieren.
Im Journalismus gibt es oft ein hierarchisches Verhältnis von Text zur Fotografie. Ist das zu akzeptieren?
Uns ist es extrem wichtig, dass sich die Studierenden als Autorinnen und Autoren verstehen. Das heißt, dass sie ihre persönliche Sicht auf die Welt transportieren, dass sie sich also nicht als „Belichtungsbeamte“ verstehen, die dann auf den Auslöser drücken, wenn man ihnen sagt, dass sie jetzt abdrücken sollen. Sondern dass sie gleichberechtigt, im Team mit Wortjournalistinnen und -journalisten Inhalte visualisieren.
Darf ein Fotograf, eine Fotografin eingreifen, wenn sie sehen, dass in einer Situation eine Frau nicht gut gesehen werden kann? Dass sie an den Rand gedrückt wird?
Hmm, das muss er oder sie selbst entscheiden, ob sie das so fotografieren oder es als unzulässigen Eingriff betrachten. Wenn eine Inszenierung erkennbar ist, etwa bei einem Pressetermin für die Vorstellung eines Produktes, dann kann dies auch von den Fotografinnen und Fotografen gestellt werden, um das bessere Bild zu erhalten. Wenn aber suggeriert wird, diese Situation ist beobachtet und hat sich genauso ereignet, ohne den Eingriff der Fotografin oder des Fotografen, dann geht das nicht. Dass aber bei Portraits von Fotografen eingegriffen wird, insbesondere auch bei Gruppenbildern, ist täglich Brot. Das ist aber für Betrachter und Betrachterinnen erkennbar. Meine Ansicht nach wird das dann auch mitgedacht.
In unserem gemeinsamen Kurs zu „Stereotypen in der Journalistischen Fotografie“ stand am Ende ein Realitycheck auf dem Programm, warum?
Zunächst mal wollen wir, dass die Studierenden als Autorinnen und Autoren selbstbewusste Persönlichkeiten werden, ihre Geschichten erzählen, ihre Themen entwickeln. Auf der anderen Seite sorgen wir immer für Gelegenheiten mit Kollegen und Kolleginnen aus der Praxis zu sprechen und sich auszutauschen. Wir holen Bildredakteur*innen für Portfoliopräsentationen in die Hochschule, die ein Feedback geben. Ich habe einige Seminare, die der Berufsvorbereitung dienen und wo der Praxis-Check fester Bestandteil ist. Davon profitieren beide Seiten, weil wir als Fachhochschule das Ziel haben, die Menschen auf eine berufliche Praxis vorzubereiten. Die sollen sie im Laufe des Studiums immer besser kennenlernen.
Also das eigene Produkt vorstellen, die Ideen verteidigen und mit Profis ins Gespräch kommen?
Beim Seminar „Redaktionelle Fotografie/Fotograf*innen als Unternehmer*innen“ kommen im Mai oder Juni ehemalige Studentinnen, die jetzt als Bildredakteurinnen bei STERN, F.A.Z. und bei der Süddeutschen zum Teil in leitender Funktion sind. Denen präsentieren die Studierenden aus dem 4. Semester ihre Portfolios. Wir simulieren Fotofestivals in der Art von Perpignan: Die Studierenden haben 90 Sekunden Zeit, sich und ihr Produkt vorstellen. Sie müssen es schaffen, bei den Bildredakteurinnen für Neugier zu sorgen.
Die Redakteurinnen kommen aber auch gerne hierher, weil sie Geschichten finden, die sie dann wiederum in ihren Redaktionen präsentieren können. Und unsere Studierenden präsentieren sich das erste Mal vor Menschen, die genau dieselbe Ausbildung durchlaufen haben, die unsere Hochschule kennen. So setzt sich das fort. Es funktioniert ausgesprochen gut.
Ich danke für das Gespräch.
Extra
Während des Kurses hat die Studentin Noemi Ehrat über stereotype Bebilderung bei Berichten über Abtreibung referiert und eigene Alternativen gezeigt. Ihre Erkenntnisse sind in diesem Blogpost zu finden.
Bildsprache Abtreibung
Fotoprojekt Noemi Ehrat
Christine Olderdissen
Genderleicht & Bildermächtig Projektleiterin
Als das erste Mal eine Interviewpartnerin mit dem Glottisschlag sprach, war das für sie ein Signal: Schluss mit dem generischen Maskulinum, lieber nach einer sprachlichen Alternative suchen. Eine einfache und elegante Lösung findet sich immer. Lange Zeit Fernsehjournalistin galt ihr Augenmerk schon immer der Berichterstattung ohne Stereotype und Klischees.
Ideen und Impulse
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