Sprachverbote und Sprachpolizei: Was wirklich dahinter steckt

von | 11. Juli 2024 | Sprachpolitik

Zwei Steinböcke kämpfen vor Alpenpanorama. Zwischen ihren Hörnern sind zwei weiße Gendersternchen

Kulturkampf um die Gendersternchen, Foto © Blickwinkel W. Layer, Picture Alliance

Um die allgemein als ‚Gendern‘ bezeichnete sprachliche Kennzeichnung geschlechtlicher Vielfalt durch Sonderzeichen tobt ein Kulturkampf. „Die AfD hat verstanden, dass sie mit dem Thema Sprache das gemäßigte Bürgertum gewinnen kann, indem sie ihre Agenda durch Sprachpolitik wie mit einem trojanischen Pferd weit in die Gesellschaft hineinführt“, schreibt Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, in seinem Buch Sprachkampf. Ein wesentlicher Aspekt dieser Agenda ist die – nicht nur sprachliche – Abwehr geschlechtlicher und sexueller Vielfalt.

Ich ziehe die Formulierung geschlechterbewusste Sprache dem Begriff ‚Gendern‘ vor, weil dieser Begriff genauso wie etwa ‚Gender-Sprache‘ (oder andere Komposita mit Gender) von antifeministischen Kreisen in abwertender Absicht nahezu gekapert wurden, weil aber auch jene ‚gendern‘, die das generische Maskulinum anwenden, nur eben auf eine Weise, die Differenzierungen und Ungleichheiten verdeckt. Dies sieht die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in ihrem Kurzgutachten vom 13.5.2024 zu solchen Verboten genauso. Falls notwendig, setze ich den Begriff ‚Gendern‘ als uneigentliche Rede in einfache Anführungszeichen.

Doch im sprachlichen Kulturkampf geht es nicht nur um ein Angebot der extremen Rechten an ein gemäßigtes Bürgertum. Widerstand gegen geschlechterbewusste Weiterentwicklungen der deutschen Sprache organisiert sich auch innerhalb der sogenannten bürgerlichen Mitte, in Vereinen, aber auch in konservativen Qualitätsmedien, die die deutsche Sprache als Inbegriff deutscher Kultur durch geschlechterbewusste Weiterentwicklungen „verhunzt“ wähnt. Solchen Sprachwächter*innen folgend hatten sich die Unionsparteien den Erhalt der deutschen Sprache als wichtigen Teil „unserer Identität“ bereits im Bundestagswahlprogramm 2021 auf die Fahnen geschrieben. Die Berufung auf eine deutsche Leitkultur im neuen Grundsatzprogramm der CDU schließt daran an. Der Widerstand gegen die Kennzeichnung geschlechtlicher Vielfalt durch Sonderzeichen kann mithin als eine von beiden Seiten gebaute Diskursbrücke betrachtet werden, mit der die vielbeschworene Brandmauer gegen Rechts überwunden werden kann.

So setzte im Thüringer Landtag im November 2022 die oppositionelle CDU-Fraktion, unterstützt von AfD, FDP und aus der AfD ausgetretenen Abgeordneten, gegen die rot-grüne Minderheitsregierung einen Appell zur Unterlassung des ‚sprachlichen Genderns‘ in Landesbehörden durch. Damals stieß das gemeinsame Vorgehen mit der AfD in der Bundes-CDU noch auf Kritik. Eine Gesetzesinitiative der thüringischen CDU, die die unverbindlichen Empfehlungen aus dem Jahr 2022 ablösen sollte, ist im Februar 2024 vorerst gescheitert, weil bei der Abstimmung Abgeordnete der Opposition fehlten.

Bürgerliche Sprachwächter*innen

In allen Bundesländern, in denen seit Herbst 2021 Sonderzeichen zur sprachlichen Kennzeichnung geschlechtlicher Vielfalt an Schulen und in der öffentlichen Verwaltung verboten wurden (in dieser zeitlichen Reihenfolge: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein 2021, gefolgt von Hessen und Bayern 2024), war die Union die Initiatorin. In Hamburg unterstützt die CDU das anstehende Volksbegehren, das ein sprachliches „Gender-Verbot“ durchsetzen will. Auch in Brandenburg steht eine Volksinitiative an.

Wie weit dieser sprachpolitische Backlash gediehen ist, zeigt sich in Ländern, in denen Grüne und SPD mit der Union koalieren. In Baden-Württemberg hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bereits vor acht Jahren den Protesten vermeintlich „Besorgter Eltern“ gegen die wertschätzende Berücksichtigung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt an Schulen nachgegeben.

Zu Jahresbeginn 2024 setzte Innenminister Thomas Strobl vom kleineren Koalitionspartner CDU ein Verbot von Sonderzeichen in offiziellen Schriftstücken der Verwaltung durch. Hier gibt es ebenfalls eine Volksinitiative, die ein Sprachverbot auch an Schulen durchsetzen will. Gegen das abgelehnte Volksbegehren klagt diese Initiative vor dem Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg.

In Hessen hatten sowohl die CDU als auch die AfD das Thema ’sprachliches Gendern‘ im Wahlprogramm 2023: Bei der hessischen CDU hieß es etwas verklausuliert, eine „Verpflichtung zur Nutzung einer genderneutralen Sprache“ (die es in dieser Form in Hessen gar nicht gibt) werde abgelehnt. Die AfD wetterte gegen „Gender-Ideologie“ und lehnte das ‚sprachliche Gendern‘ als Verunstaltung der deutschen Sprache ab. Die Union rief das Thema in den Koalitionsverhandlungen auf. Die SPD ließ sich über den Tisch ziehen. Nun sind Sonderzeichen zur sprachlichen Kennzeichnung geschlechtlicher Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung und an Schulen in Hessen verboten. Wer im schriftlichen Abitur im März 2024 dennoch Sonderzeichen nutzte, riskierte, dass diese Zeichen als Fehler gewertet wurden. Einige Abiturient*innen kündigten dies als Akt des Widerstands dennoch an.

Nach empörten öffentlichen Stellungnahmen des Hessischen Rundfunks und fast aller Hochschulen erinnerte sich die hessische Landesregierung dann doch an die Presse- und Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz. Beide Bereiche sind vom Verbot ausgenommen. An Hochschulen sind nur die wenigen Bereiche der Verwaltung betroffen, in denen im Auftrag des Landes gehandelt wird.

Screenshot mit Foto von einer Demo: Eine Person in schwarzer Winterjacke hat sich ein Schild umgehängt mit Text: Die Welt muss sich gendern.

Screenshot Evangelische Zeitung, 19.12.2023
© Martin Müller, Imago

Screenshot Artikel mit Überschrift: Frankfurter Unipräsident gegen jedes Genderverbot

Screenshot FAZ, 18.4.2024 © dpa

Kurioserweise kommt das Sprachverbot von einer Seite, die sich an anderer Stelle gegen Verbote wendet. Der Vorwurf „feministische Sprachpolizei“ gehört zum antifeministischen Vokabular. Er suggeriert, dass man nicht mehr sprechen dürfe, wie man wolle. Im Wahlkampf in Hessen plakatierte die CDU in einem anderen Politikfeld „Verbieten verbieten“. Doch leider befindet sich das Verbot im Einklang mit Umfragen, wonach eine Bevölkerungsmehrheit das ‚sprachliche Gendern‘ ablehnt.

Brückenschlag für eine rückwärtsgewandte Werteordnung

Immerhin antizipiert der Rat für deutsche Rechtschreibung eine geschlechterbewusste(re) Sprache. ‚Gender‘-Kritiker*innen hingegen suchen diese zu stoppen und rückgängig zu machen. Politische und gesellschaftliche Kreise, die sich selbst „genderkritisch“ nennen, lehnen die Änderung des Personenstandsgesetzes von 2018 ab. Sie wehren sich dagegen, quasi nicht mehr ‚normal‘, sondern ‚nur noch‘ heterosexuell zu sein. Hintergrund ist die Imagination einer deutschen Identität, zu deren Kern die zweigeschlechtliche Ehe und Familie mit geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung gehört.

Die extreme Rechte wie auch vermeintliche Sprachwächter*innen in bürgerlichen Milieus identifizieren sich mit dieser rückwärtsgewandten Werteordnung. Beide Spektren können hier andocken, die extreme Rechte mit ihrer Ablehnung von allem, was sie mit dem Reizwort ‚Gender‘ verbindet, die bürgerlichen Sprachwächter*innen mit ihrer Vorstellung einer deutschen Kultur, die in Sprache geronnen sei.

Menschen, die sich in diese heteronormative Ordnung nicht einfügen, werden vielleicht in einer vermeintlich großmütigen Geste toleriert. Dies ist jedoch verbunden mit einer Verbannung in die sprachliche Nichtexistenz. Wer nicht benannt werden kann, über den muss nicht geredet werden.

Hier zeigt sich eine Diskursbrücke: ‚Gender-Kritik‘ dient als der eine Brückenpfeiler, ‚in Sprache geronnene kulturelle Identität‘ als der andere. Verbunden werden beide Pfeiler durch die Idee der heteronormativen Familie mit geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung. Auf dieser Brücke lässt es sich nach Belieben hin und her spazieren. Denn auch die bürgerlichen Sprachwächter*innen üben sich in ‚Gender-Kritik‘, wie etwa laut und vernehmlich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Und auch die extreme Rechte faselt von kultureller Identität, was immer sie darunter verstehen mag. Brandmauer war gestern!

Dorothee Beck

Gastautorin

Sie forscht an der Philipps-Universität Marburg zu Antifeminismus /Anti-Gender, und in diesem Rahmen zu den sprachpolitischen Diskursen um geschlechterbewusste Sprache. Daneben gehören politische Partizipation und Geschlecht sowie Gewalt und Geschlecht in der Politik zu den Forschungsinteressen von Dr. Dorothee Beck. Zuvor arbeitete sie lange Jahre als Journalistin und PR-Fachfrau im Non-Profit-Bereich.

Die Autorin dankt Prof. Dr. Annette Henninger für wertvolle Diskussionen und Hinweise.

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