Die Aufgabenstellung war eigentlich einfach. Finde Frauen, die wie Männer dargestellt werden. Finde Männer, die wie Frauen dargestellt werden. Gemeint war: Was tut sich im Journalismus?
Also, erster Schritt: Webseiten von Magazinen, Zeitungen und Zeitschriften öffnen und durchscrollen.
Geschlechtsspezifische Bebilderung im Journalismus
Und da zeigt sich schon das erste Hindernis. Die Herausforderung ist nämlich nicht, Frauen in als typisch männlich verstandenen Situationen oder Posen zu finden, oder eben anders herum, sondern, die Challenge ist, erstmal überhaupt Frauen zu finden.
Konkret versucht habe ich es im Advent 2023 bei der ZEIT, der taz und beim SPIEGEL. Ich habe mir die Aufmacherbilder der an diesem Tag erschienenen Beiträge als Liste anzeigen lassen und bin von oben nach unten durchgegangen.
Frauen in Frauen-Kategorien
Ich sehe Politik, Wirtschaft, Weltgeschehen und keine Frauen. Zumindest nicht auf der ersten Seite. Später finde ich dann doch noch einige, aber dabei lassen sich leider sehr schnell sehr deutliche Muster erkennen.
Variante 1: Eine bestimmte Politikerin/Wissenschaftlerin/Autorin etc. wird auf dem Foto gezeigt, denn der Artikel handelt von ihr. Heißt also: Hier ging es auch gar nicht anders.
Variante 2: Es geht um Themen, wo sich Frauen wirklich nicht vermeiden lassen. Menopause, Schwangerschaft, Endometriose.
Variante 3 (und hier hatte ich mich kurz gefreut): Die Darstellung von Frauen, die Dinge tun, die normalerweise Männer tun.
ABER, – und ja, es gibt ein großes Aber – es ist dabei nicht so, dass es einfach eine sehr fortschrittliche Bildauswahl gewesen wäre. Nein, genau das ist nämlich die Story. Also, Frauen, die Sachen machen, die Frauen normalerweise nicht machen. Zum Beispiel Dienst an der Waffe oder mit aufgemotzten Autos durch Los Angeles cruisen. Der Wahnsinn. Dass die das können!
Sichtbarkeit von Männern in der Familie
Aber vielleicht wird es ja besser, wenn ich nach dem umgekehrten Beispiel suche … Bilder von Männern, die dabei fotografiert wurden, wie sie Sachen machen, die normalerweise Frauen zugeschrieben werden. Da scheint es etwas einfacher zu sein.
Mann füllt die Waschmaschine. Mann fährt mit Kinderfahrrad. Mann gibt dem Baby die Flasche. Immerhin.
Allerdings komme ich doch nicht umhin, zu bemerken, dass sich alle diese Fotos in Familien-Settings befinden.
Und ja, ich freue mich sehr, dass mittlerweile in vielen Köpfen angekommen ist, dass selbstverständlich Verantwortlichkeiten in einer Familie sämtliche anwesende Erwachsene betreffen, unerheblich welchen Geschlechts.
Aber reicht uns das?
Lange haben Feminist*innen dafür gekämpft, dass die kostenlose Care Arbeit und die Mental Load von Frauen in Familien anerkannt werden und dass sich da in der Wahrnehmung jetzt etwas bewegt, scheinen diese Fotos zu bestätigen.
Aber es hat ja niemand gesagt, dass wir da mit dem Denken aufhören sollen, oder? Gebt ihnen den Haushalt und damit war es das dann auch? Es wirkt fast so, als würde hier wieder nur das Mindeste getan werden.
Keine Sichtbarkeit, kein Rollentausch
Denn wie viel kann es bringen, Männer zwar auch als Hausmänner auf Fotos abzubilden, aber gleichzeitig ist jede andere Bebilderung mit Frauen so stereotyp wie sie nur sein kann. Ich sehe Frauen in Pflegeberufen, Frauenkörper bei Themen rund um Sex, Frauen beim Shoppen. Wo sind die Handwerkerinnen, die Chemikerinnen, die LKW-Fahrerinnen, die IT-Expertinnen, die Regisseurinnen?
Stockfotos diverser als deutscher Journalismus
Ich habe mir übrigens mal erlaubt, das Wort Journalist beim Stockfotoanbieter Shutterstock zu suchen – und habe insgeheim schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber, siehe da, es gibt gescheite Darstellungen von Frauen in diesem Beruf – ohne, dass ich konkret Journalistin sagen musste. Es waren sogar mehr Frauen als Männer. Keine Stereotype, sondern echte Frauen in Situationen, die realistisch abgebildet sind.
Stockfotos scheinen außerdem einen weiteren positiven Aspekt zu liefern.
Zurück auf den Webseiten von ZEIT und Co. sehe ich eine Schwarze Familie auf der Couch. Stockfoto.
Eine Frau in einem Artikel nicht-geschlechtstypischen Inhalts, nämlich Erkältung. Stockfoto.
Auffällig ist übrigens, dass, wenn es auf den Webseiten um Erkältungen geht, besonders viele Stockfotos von Frauen beim Niesen oder Naseputzen verwendet wurden.
Das muss wohl leider im Umkehrschluss heißen, dass selbst internationale Stockfoto-Datenbanken dem deutschen Journalismus voraus sind, darin, Frauen a) überhaupt auf dem Schirm zu haben und b) sie dann auch noch darzustellen.
Denn wenn ich durch die Artikelseiten scrolle, sehe ich mehr Fotos, auf denen gar keine Menschen abgebildet sind, als Fotos, auf denen Frauen zu sehen sind.
Das Problem ist also nicht, dass der Journalismus die Bebilderung mit Frauen vergisst. Der Journalismus vergisst Frauen offenbar komplett – außer es ist ein „Frauenthema“, wo es wirklich nicht anders geht. Oder anders formuliert: Die Bilder- und Themen-Möglichkeiten sind da, sogar ziemlich umfassend, Frauen werden halt nur nicht mitgedacht, weil Männer in den Köpfen immer noch der Standard sind.
Und das liegt ohne Zweifel an dem immer noch vorherrschenden Männer-Überschuss im deutschen Journalismus, denn als Menschen neigen wir dazu, dem den Vortritt zu geben, was uns am Ähnlichsten ist. Kurz: Männer bebildern mit Männern, weil sie Männer sind – ohne, dass ihnen das überhaupt auffallen würde.
Positive Beispiele aus Werbung und Social Media
Dass es aber auch anders geht, zeigt ein Beispiel vom Männermagazin GQ aus dem Jahr 2016. Also, GQ hat hier erstmal gezeigt, wie man es nicht machen soll. Nämlich mit einem absolut lächerlichen, sexistischen Foto Shoot. Ein Outdoor Shooting zwischen Felsen irgendwo in Kalifornien. Die Männer klettern. Die Frauen duschen oder aalen sich in der Sonne.
Kurze Zeit später kam aber dann Outdoor Research, ein Hersteller für sportliche Freizeitbekleidung, und hat die Rollen umgedreht. Und wir lieben es.
Wie es aussehen könnte, wenn Männer wie Frauen posen, hat sich auch die amerikanische Comedienne Ashley Hesseltine gefragt und hat im Jahr 2014 den Instagram-Kanal @brosbeingbasic gegründet. Das Konzept: Aufnahmen von Posen, die wir häufig von Frauen auf Social Media sehen, aber eben dargestellt durch Männer.
Mittlerweile hat der Account über 760.000 Follower*innen.
Also, halten wir fest: In der Werbung und in Social Media geht es offenbar. An den Möglichkeiten liegt es wohl nicht, dann wohl doch eher am Willen – oder zumindest am Bewusstsein.
Bestes Ergebnis: Propaganda
Ich bin übrigens doch noch fündig geworden. Obwohl ich mir jetzt eigentlich doch eher wünsche, ich hätte es nicht gesehen. Das einzige Artikelfoto, das einen Rollentausch zeigt, ohne großes Aufheben um Geschlechtsidentitäten oder den Rollentausch an sich zu machen, stammt aus Russland. Genauer vom Stand der Republik Tschetschenien beim „Forum Rossija“, eine Ausstellung, die „die Errungenschaften seiner Regionen zeigen will.“ So schreibt und zeigt es die taz.
Eine Frau hält ein Gewehr im Anschlag, ein Mann steht daneben. Hier ist die Story nicht eine besondere Einheit von Frauen beim Militär. Hier ist nicht die Frau die Story, sondern es ist nur zufällig eine weibliche Person mit einer Waffe.
Und dass das das beste Beispiel ist, ist schon wirklich sehr tragisch.
Sarah Tekath
Gastautorin
Sie ist freie Journalistin, Podcasterin und Auslandskorrespondentin in Amsterdam. Sarah Tekath arbeitet unter anderem für Deutschlandradio, neues deutschland und Deine Korrespondentin
Bilder von Handwerkerinnen
Unsere Instagram-Kampagne
„Vorbild Spitzenfrauen“
Fotoprojekt mit Hintersinn
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Genderkonstruktionen: Der Blog Mädchenmannschaft wirft einen kritischen Blick auf eine US-amerikanische App für Fotoposen von Frauen und Männern.
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