„Gendern ist wie ein Muskel, der trainiert werden muss,“ sagt Hörfunkjournalistin Rebekka Endler. Sie ist eine von fünf Radioprofis, die im zweiten Teil der Reihe „Gendern im Radio“ berichten, warum sie sich bei ihrer Arbeit um gendersensible Sprache bemühen und wie das gelingen kann. Rebekka Endler produziert sowohl 30- bis 50-minütige Features als auch Kurzbeiträge und Studiogespräche – unter anderem für den Westdeutschen Rundfunk und für Deutschlandfunk Nova. Sie hat für sich festgestellt: „Gendern ist Übungssache! Das Gehirn ist flexibel und kann dazulernen. Genauso, wie wir in der Lage sind, Fremdsprachen zu lernen, können wir uns eine geschlechtergerechte Sprache angewöhnen.“ Ihre Erfahrung: „Wer oft übt, stolpert bald immer weniger darüber und irgendwann fühlt es sich komisch an, nicht zu gendern.“
Teil 2: So kann Gendern im Radio gelingen
In Sprechtexten verwendet Rebekka Endler männliche und weibliche Personenbezeichnungen und zwar immer dann, wenn es konkret um Männer und Frauen geht. Außerdem kommen neutrale Synonyme zum Einsatz und mittlerweile auch das Gendersternchen. Wenn in ihrem Manuskript das Wort „Fahrer*innen“ steht, macht sie beim Sprechen dort, wo das Sternchen zu sehen ist, eine Mini-Pause. Das „innen“ hängt sie hinten dran und weiter geht es im Text. War es am Anfang für die Reporterin noch ungewohnt, lief es mit der Zeit immer besser. Neben der zunehmenden Routine half ihr dabei, sich die Zielgruppe klar vor Augen zu halten: „Ich mache Radio für alle und deshalb sollen sich auch alle angesprochen fühlen“, so die 36-Jährige über ihre Motivation.
Sprachästhetik: Wie kann so was schön sein?
Skepsis gegenüber gendergerechter Sprache kann Rebekka Endler nicht nachvollziehen – besonders wenn als Kritikpunkt die Schönheit der Sprache angeführt wird: „Sprachästhetik ist kein Argument. Wie kann man damit argumentieren, wenn dafür 50 Prozent der Bevölkerung sprachlich weggelassen werden? Was soll daran schön sein? Für mich ist gendergerechte Sprache weniger elitär.“ Es gibt Viele, die es anders sehen – innerhalb der Hörerschaft ebenso wie in den Sendern und Redaktionen.
Hörgewohnheit, Hemmschwelle und Haltung
Dass die Auseinandersetzung ums Gendern Reibungen erzeugt, gefällt Susanne Babila. Sie arbeitet in der SWR-Redaktion „Religion und Welt“ und setzt für verschiedene SWR-Programme sowie für den Deutschlandfunk ebenfalls 30-minütige Features sowie gebaute Beiträge mit einer Länge von zwei bis drei Minuten um. „Konflikte und Streitkultur sind wichtig. Nur so kommen wir als Gesellschaft weiter.“ Ihr Favorit beim Gendern ist die Beidnennung. Denn der 57-jährigen Journalistin geht das Gendersternchen bislang nur schwer über die Lippen: „Das größte Hindernis ist für mich diese Hemmschwelle. Ich habe beim Gendern mit dem Gendersternchen das Gefühl, dass der Sprachfluss ins Stocken gerät.“ Für Susanne Babila liegen die Gründe auf der Hand: „Ich denke, das hat mit meiner eigenen Hörgewohnheit zu tun.“ Gerade deshalb findet sie es aber wichtig, zu gendern. „Es betont: die Welt ist keineswegs nur männlich, sondern zu 50 Prozent weiblich.“ Für sie ein klares Argument dafür, Männer und Frauen hörbar zu benennen.
Von den Herausforderungen nicht abschrecken lassen
Susanne Babila ist bekannt für sorgsame Recherche und ungewöhnliche Erzählperspektiven. Ihre journalistischen Arbeiten in Hörfunk und Fernsehen wurden mehrfach ausgezeichnet, mit dem Caritas-Journalistenpreis, dem Juliane-Bartel-Medienpreis, dem deutschen Menschenrechts-Filmpreis oder dem Willi-Bleicher-Preis. Dem Gendersternchen im Radio steht die erfahrene Journalistin, trotz der eigenen Unsicherheit beim Sprechen, offen gegenüber. Schließlich werden damit zusätzlich nicht-binäre Menschen angesprochen. Zudem weiß Susanne Babila, dass sich Hör- und Sprechgewohnheiten durchaus ändern: „Zum Beispiel wird heute im Radio viel schneller gesprochen als früher, und die Beiträge werden immer kürzer.“ Beim Vertonen künftiger Features überlegt sie, eventuell mit Lücke zu sprechen. Mit der Zeit werde es sicher leichter, ist sie überzeugt: „Alles eine Frage der Routine.“ Ob es dazu kommt, hänge jedoch von der Entwicklung und den künftigen Senderichtlinien ab.
Was die SWR-Journalistin reizt: Gendergerechte Sprache bedeutet besondere Sorgfalt bei der Recherche: „Zum Beispiel, wenn es um Krawalle geht – waren da wirklich Frauen dabei? Ich muss dann erstmal recherchieren.“ Und noch eine Herausforderung findet sie spannend: Gendergerecht und gleichzeitig verständlich texten: „Es gibt beim Radio nur einmal die Chance etwas zu vermitteln, und dann versendet es sich“. Selbst in Zeiten von Audiotheken und Internet wird selten ein zweites Mal gehört.
Gendern am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen
Till Haase moderiert seit 2014 die Frühsendung auf Deutschlandfunk Nova (früher DRadio Wissen). Auf die Frage, warum er im Radio gendert, kontert er: „Warum nicht?“ Seine Haltung: „Es ist gut, es ist möglich und es tut nicht weh.“ Statt fester Regeln setzt er auf Abwechslung, auch weil er noch ausprobiert: „Mal genderneutral, mal mit Beidnennung und seit Anfang des Jahres hin und wieder mit gesprochenem Gendersternchen.“ Seine Moderationen mit Genderpause klingen flüssig. Er macht keine große Sache daraus. Als Vorbild für andere sieht sich der 42-Jährige nicht: „Ich gebe mir zwar Mühe zu gendern, aber ich krieg das nicht immer hin und es klappt auch nicht immer gut: Manchmal vergesse ich es trotzdem oder merke erst im Nachhinein, dass ich hätte gendern können.“ Besonders in Live-Situationen ist gendersensible Sprache eine Herausforderung: „Einfach, weil ich es noch nicht automatisch mache.“ Leichter falle es ihm, wenn Texte gut vorbereitet werden können – zum Beispiel bei einer Anmoderation.
„Meine Grenze ist da erreicht“
Für die Wissenschaftsjournalistin Eva Schindele bedeutet Gendern im Radio vor allem: Frauen verstärkt ins Bewusstsein zu rücken. Bereits vor 25 Jahren hat sie darauf Wert gelegt, Frauen und Männer explizit zu nennen. Inzwischen hat sich viel getan, wie die 69-Jährige, die auch im Journalistinnenbund aktiv ist, feststellt – sowohl was Hörgewohnheiten angeht, als auch was die Gepflogenheiten in Redaktionen betrifft: „Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen in den Redaktionen strikt abgelehnt wurde, Frauen ebenfalls zu benennen. Dann hieß es für beide Seiten: Kompromisse eingehen und individuelle Lösungen finden.“ Heute seien Beidnennungen häufiger zu hören.
In ihren Radiofeatures, die Eva Schindele u.a. für SWR2 Wissen und für den WDR umsetzt, versucht sie, Sprache möglichst kreativ einzusetzen und dabei eingefahrene Rollenbilder bewusst in Frage zu stellen. „Ich bin undogmatisch und suche Formulierungen wie diese hier: ‚die Ärztin und der Pfleger‘ – also einmal die männliche Form und bei einem anderen Wort dann die weibliche.“ Der Grund für diese Art des Genderns: Wirklich durchgängig Männer und Frauen im Radio zu benennen, erscheint ihr unpraktisch: „Dadurch werden die Texte immer länger. Gerade im Hörfunk kommt es oft auf jede Sekunde an.“ Aber deswegen einfach alle Personenbezeichnungen in der männlichen Form zu verwenden, ist ihrer Meinung nach keine Lösung – genauso wenig wie das Gendersternchen: „Pausen im Wort finde ich im Hörfunk schwierig. Vielen ist die Bedeutung unbekannt.“
Im Printbereich, wo sie sich als Autorin ebenfalls etabliert hat, sei das anders: Dort stören sie Gender-Sonderzeichen wie das Binnen-I oder das Sternchen weniger. Für Unverständnis sorgen jedoch – auch bei ihr – Beiträge, die aus Rücksicht auf non-binäre Lebenswirklichkeiten Frauen nicht mehr klar benennen: „Bei Formulierungen wie ‚menstruierende Person‘ stehen mir alle Haare zu Berge. Meine Grenze ist da erreicht!“
Rücksicht auf Menschen jenseits des binären Systems
Doch dass solche Formulierungen – selbst wenn sie ungewohnt klingen – durchaus ihre Berechtigung haben, hat Nele Posthausen festgestellt: „Wenn ich über non-binäre Menschen spreche, dann ist es falsch, wenn ich sie mit einer Binarität oder mit dem generischen Maskulinum anspreche – weil sie das einfach nicht sind.“ Nele Posthausen arbeitet als freie Journalistin bei Cosmo sowie bei WDR 5, Deutschlandfunk Nova, und gibt Seminare an der TU Dortmund. „Wenn es um sogenannte LGBTIQ*-Themen geht, ist es mir wichtig, mit Gap zu sprechen, sofern der Sender es zulässt. Denn gendergerechte Sprache bedeutet für mich, alle Personen einzubeziehen.“
On-Air gendern üben? Nein!
Dennoch findet es Nele Posthausen vollkommen in Ordnung, wenn Radioleute ohne Gender-Gap sprechen: „Beim Gendern geht es weniger um Sprache, als um ein Weltbild, um ein tieferliegendes Verständnis. Wer das nicht verinnerlicht hat, sollte keine Gender-Gaps On-Air üben. Besser ist es, so zu sprechen, wie man sich wohl fühlt – zum Beispiel mit männlichen und weiblichen Personenbezeichnungen.“ Ihre Toleranz gegenüber verschiedenen Genderformen bis hin zum generischen Maskulinum erklärt Nele Posthausen so: „Ich finde es richtig, eine Diversität von Perspektiven zu repräsentieren. Sprache kann einfach nie neutral sein.“
Locker bleiben!
In ihren Radiobeiträgen sind ihr Gender-Gaps schon mehrfach rausredigiert worden. Seit neuestem gibt es beim WDR die Ansage, dass Sprechen mit Gap unerwünscht ist, da es als zu irritierend empfunden werde. Nele Posthausen bedauert die Entscheidung zwar, findet aber ihren eigenen Umgang damit: „Ich halte es für wichtig, dem Thema weniger verbissen zu begegnen und in den Dialog zu gehen. Das bedeutet: Nicht schockiert zu gucken, wenn Menschen das generische Maskulinum verwenden.“ Trotzdem würde sie gern die Möglichkeit haben, wenigstens dort, wo es thematisch angebracht scheint, mit Gap sprechen zu können. Solange das nicht geht, weicht sie auf neutrale Synonyme aus.
Gendern im Radio ist bislang wenig verbreitet
Im Gespräch mit Genderleicht haben fünf Radioprofis gezeigt: Radio kommt durchaus ohne generisches Maskulinum aus. Dennoch soll nicht der Eindruck entstehen, dass Gendern On-Air inzwischen überall möglich ist. Ein Großteil der Redaktionen lehnt es im Herbst 2020 ab – zumindest, wenn es sehr offensiv gemacht wird. Gegenderte Beitragsmanuskripte sorgen für Diskussionen bei der Abnahme – bzw. werden beim Redigieren „zurückgegendert“.
Freie, die von Aufträgen abhängig sind, können sich Grundsatzdiskussionen mit Redaktionen im wahrsten Wortsinn oft nicht leisten. Dennoch ist geschlechtersensible Sprache im Radio kein aussichtsloses Unterfangen – wenn geschickt formuliert wird. Genderleicht.de hat Anregungen, die auch in konservativen Redaktionen funktionieren können. Auf lange Sicht ist Rebekka Endler zuversichtlich: „Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich Gendern im Radio durchsetzt. Für mich ist das völlig klar.“
Immer donnerstags: Die Blogserie geht weiter
Trotz der unterschiedlichen Haltungen zu den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Gendermethoden im Hörfunk, in einem Punkt sind sich die Radioprofis, die in diesem Text zu Wort kamen, einig. Und das Gute daran: Egal, wie die eigene Redaktion zum Gendern steht: diese Methode funktioniert überall. Darum und um die verschiedenen Darstellungsformen geht es im dritten Teil der Reihe „Gendern im Radio“, der kommenden Donnerstag erscheint.
Gendern im Radio, Teil 1
Vielfalt on Air
Gendern im Radio, Teil 3
Zehn Tipps für die Praxis
Fünf Leitsätze zum Gendern im Radio
Wo ein Wille ist, ist ein Weg:
Moderator Till Haase findet: „Wer gendern will, kriegt das hin.“
Im Alltag gendern üben!
Rebekka Endler empfiehlt, sich gendersensible Sprache im Alltag anzugewöhnen: „Ich gendere zum Beispiel Kinderbücher beim Vorlesen. Für mich ist das wie Gehirnjogging.“
Abwechselung statt Einheitsbrei:
Eva Schindele hält es für wichtig, besonders Frauen sichtbar zu machen und Rollenbilder zu hinterfragen.
Bewusstsein schaffen!
Susanne Babila betont: Die Welt besteht nicht nur aus Männern.
Tolerant sein!
Nele Posthausen, die selbst gern mit Gender-Gap spricht: Sprache sollte kein Kampfthema im Journalismus sein, bei dem sich Fronten bilden.
Katalin Vales
REFERENTIN GENDERLEICHT.DE
Sie kennt Print- und Hörfunkredaktionen von innen und stand dem Gendern anfangs skeptisch gegenüber. Doch die vielen Argumente dafür haben die freie Journalistin überzeugt. Inzwischen formuliert Katalin Valeš gendersensibel und hat festgestellt: es geht sehr gut und macht Spaß.
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