„Wenn zwei das Gleiche machen, ist es noch lange nicht dasselbe“. Diesen Satz habe ich von meinen Eltern oft gehört und leider muss ich feststellen, wie viel Wahrheit immer noch darin steckt. Ein Beispiel dafür ist die gesamte Welt des Sports. Des „Frauen“-Sports. Schlimm genug, dass ich das spezifizieren muss.
Sport in einer Männerwelt
Mein ganzes Leben lang habe ich Sportarten gemacht, die wahrscheinlich als eher männlich eingestuft werden. Mountainbike fahren, Karate, Kickboxen, Krav Maga. Die beiden letzteren unterrichte ich mittlerweile selbst in Amsterdam, in Kursen für (muslimische) Frauen.
Diese Workshops für Frauen sind aus der Notwendigkeit heraus entstanden. Weil ich selbst weiß, wie unwohl sich Frauen in Kickbox-Studios voller Alpha-Männchen fühlen, aufgrund von Machogehabe und massivem Raum-Einnehmen. Ein schönes, und damit meine ich absolut nerviges Beispiel ist völlig übertriebenes Stöhnen und Grunzen bei körperlicher Anstrengung.
Darum sind meine Kurse von Frauen für Frauen. Männer haben keinen Zutritt. Und falls jetzt jemand anfangen möchte mit „Das ist auch Diskriminierung“: Ganz im Ernst, die ganze Welt ist eine Männerwelt. Die 20 qm Sporthalle können sie wohl für 90 Minuten in der Woche ohne große Schmerzen abgeben, oder?
Nichtsdestotrotz werde ich an jedem Montag, bei jedem Workshop, wieder daran erinnert, dass ich mich in einer Männerwelt bewege. Der Sportpark, wo der Kurs stattfindet, ist eine Männerwelt. Mit großen Fußballfeldern und massiver männlicher Präsenz. Jungs und Männer sind die Regel, Mädchen und Frauen die Ausnahme.
Ich, Frau, am Boxsack
Fordere ich die Mitarbeiter des Sportverbandes auf, Wasser im Fuß unserer Boxsäcke nachzufüllen, damit sie nicht umfallen, bekomme ich den Blick: „Ach, Kleine, für deine Kicks wird es schon reichen.“ Ich muss also erst mit einem Tritt den Sack zu Boden befördern, um ernst genommen zu werden.
Das Gleiche passiert mir in meinem eigenen Training, wenn ich in einem neuen Studio zum Boxsack-Training gehe. Der – in 99 Prozent der Fälle – männliche Coach erklärt mir die Basics und ist völlig überrascht, wenn er meine Ausführung sieht. Unfassbar, dass ich tatsächlich weiß, was ich tue. Die Überraschung kommt aber einfach zu häufig, um sie nicht als persönliche Beleidigung aufzufassen.
Und das lässt sich leider auf die gesamte Sportwelt übertragen. Männer dürfen, Frauen nicht. Oder anders formuliert: Männer beanspruchen Raum, Frauen werden geduldet. Aber auch nur dann, wenn sie sich an von Männern gemachte Spielregeln und vor allem Kleidungsregeln halten.
Von Männern bestimmt? Kleiderordnung im Sport
Kürzlich noch so gesehen bei der Fußball-EM der Frauen im Jahr 2022. Chloe Kelly schießt den Siegertreffer im Finalspiel England gegen Deutschland und rennt im Sport-BH jubelnd über das Feld. Und die ganze Welt verliert den Verstand. „Wie kann sie nur, als Frau?“ Würde jedes Mal, wenn sich ein männlicher Spieler im Freudentaumel das Trikot vom Körper reißt, so ein Medien-Drama veranstaltet werden, würde wohl über gar nichts anderes mehr berichtet werden.
Aber gut, okay, halten wir fest. Frauenkörper entblößt zeigen gleich böse. Gut, hab‘ ich kapiert. Aber dann grätschen plötzlich der Beachvolleyball und Beachhandball von der Seite rein und sagten: „Hallo, wir sind auch noch da.“
Im Sommer 2021 gibt es nämlich Ärger für die norwegischen Beachhandballerinnen, als sie sich kollektiv entscheiden, Shorts anstatt Bikinihöschen zu tragen. Da das gegen das Reglement des Europäischen Handballverbandes geht, wird es auch gleich teuer. 1.500 € als Strafe für das Team für ‚unangemessene Bekleidung‘. Die Meldung zieht eine internationale Debatte nach sich und geht sogar so weit, dass die US-Sängerin Pink die Strafe für das Team bezahlt.
Der Handballverband gibt dem Druck schließlich nach, spendet die Summe für einen guten Zweck und ändert die Kleiderordnung. Die Sportlerinnen dürfen jetzt längere Hosen im Stil von Radlerhosen tragen. Merke: Eng sein müssen sie übrigens immer noch.
Aber auch drei Jahre später scheint die Sportwelt bzw. Sportausstatterwelt es immer noch nicht begriffen zu haben. Nike stellte im April 2024 das Outfit der US-Läuferinnen vor und hat sich wahrscheinlich ernsthaft gewundert, warum sich die Begeisterung eher in Grenzen gehalten hat. Das Outfit erinnert nämlich durch den extrem hohen Beinausschnitt sehr unangenehm an die Aerobic-Hochphase in den 1980er Jahren.
Das Outfit der Männer besteht übrigens aus einem engen Tank Top und halblangen, engen Shorts. Ich wollte es nur der Form halber gesagt haben.
Die Debatte um Bodysuits und Hijab
Im gleichen Jahr wie die norwegischen Beachhandballerinnen traten die deutschen Turnerinnen bei Olympia geschlossen mit einem die Arme und Beine bedeckenden Ganzkörperanzug an, als Zeichen gegen Sexismus im Sport. Weiter gab Team-Mitglied Sarah Voss an, sich mit dem langen Anzug sicherer zu fühlen, da Outfits mit hohem Beinausschnitt bei Sprüngen und Spagaten oft verrutschen würden.
Zwar hat die Aktion der deutschen Turnerinnen für ein wenig Aufsehen gesorgt, aber das Drama wie bei den Beachhandballerinnen wiederholte sich nicht, denn der Internationale Turnverband erlaubt Bodysuits. Ein Angebot, was oft, aber nicht ausschließlich, aus religiösen Gründen genutzt wird.
In diesem Zusammenhang schrieb die Fechterin Ibtihaj Muhammad 2016 Geschichte, als sie als erstes Mitglied des US-Teams bei den Olympischen Spielen mit einem Kopftuch antrat und heute stolz von sich sagen kann: „Ich habe der Welt gezeigt, was Musliminnen im Sport erreichen können.“ Mittlerweile gibt es sogar eine Ibtihaj Muhammad Barbie Puppe.
Die Geschichte dieser Ausnahme-Sportlerin hat sicher weltweit Tausende Mädchen und Frauen inspiriert. Sie könnte eine Chance bieten, ein echtes Vorbild für (zukünftige) muslimische Athletinnen zu werden, doch schon wieder springt jemand dazwischen.
Im September 2023 wurde nämlich bekannt, dass das französische Ministerium für Sport seinen Athletinnen bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris das Tragen eines Kopftuchs verbietet. Mit dem Hinweis auf den strengen Säkularismus im Land. Und das, obwohl das Olympische Komitee (IOC) Hijabs als kulturelles Symbol erlaubt.
Wenig flexibel in Sachen Bekleidung waren in Frankreich auch die Organisatoren des Tennis-Turniers French Open. Denn Weltstar Serena Williams kam im Jahr 2018, nach einer Schwangerschaft und der Geburt ihres Kindes, in einem schwarzen Ganzkörperanzug zurück auf den Platz. Sie gab an, ihn aus medizinischen Gründen, für eine bessere Durchblutung zu tragen, und widmete ihn all jenen Müttern da draußen, die sich nur schwer von der Schwangerschaft erholen konnten. Außerdem fühle sie sich damit ein bisschen wie eine Superheldin.
Eine sehr begrüßenswerte und empowernde Aktion mit einer richtig guten und unterstützenswerten Botschaft? Der französische Tennisverband FFT sah das anders und verbot ihr das Tragen des Anzugs. Williams nahm es gelassen und twitterte: „You can take the superhero out of her costume, but you can never take away her superpowers.“
Absolute Outfit-Willkür: Die X League im American Football
Allerdings gibt es auch Sportverbände, die machen sich den Stress gar nicht erst, sich zu fragen, was Sportlerinnen tragen sollen.
Mein persönlicher Favorit ist die X League im American Football. Die Spielerinnen tragen nämlich – außer Schuhen, Helm, Schulterpolstern und Unterwäsche – gar nichts. Das ist kein Witz, Sie können es googeln. Die X League trägt übrigens auch den Beinamen Lingerie League.
Spätestens hier dürfte klargeworden sein, dass das Ganze absolut nichts mit sportlichen Vorteilen, Bewegungsfreiheit oder Sicherheit zu tun hat, sondern einfach nur mit Willkür. Frauen zeigen Haut, wenn es Männern (und Sponsoren und Quoten) in den Kram passt. Wenn nicht, dann nicht.
Und lasst mich darum bitte eines deutlich sagen: Liebe Männer, liebe Entscheider in den Sport-Verbänden: Unser Sport, Frauen-Sport, und unsere Körper sind weder für eure Unterhaltung noch eure finanziellen Vorteile da. Der Zugang zu passender Sport-Bekleidung gibt Mädchen und Frauen weltweit die Möglichkeit, stärker, schneller, gesünder, selbstbewusster und besser zu werden. Sie eröffnet ihnen Chancen, das Meiste aus sich heraus zu holen und sich ihren Platz in der Welt zu sichern.
Von der Werbung entdeckt: Female Empowerment
Glücklicherweise haben aber nun auch verschiedene Sportkleidungshersteller bemerkt, dass female empowerment gutes Marketing ist, und haben zahlreiche starke Kampagnen herausgebracht.
Diese Mädchen und Frauen sind badass, arbeiten hart, pushen sich immer wieder, machen keine Kompromisse und holen sich selbstbewusst den Raum in der Welt, der ihnen zusteht. Diese Frauenkörper sind stark, schnell, flexibel, schön, ausdauernd, kraftvoll, zäh und noch so vieles mehr. Und genau so will ich sie endlich auch präsentiert sehen. Mit all dem Respekt, den sie für ihre Leistungen verdienen. Egal, ob bei Olympia oder in ihrer kleinen Ecke der Welt auf 20 qm.
Sarah Tekath
Gastautorin
Sie ist freie Journalistin, Podcasterin und Auslandskorrespondentin in Amsterdam. Sarah Tekath arbeitet unter anderem für Deutschlandradio, neues deutschland und Deine Korrespondentin
Gleichstellung im Sport
Das Projekt Klischeefrei im Sport – no stereotypes setzt sich für eine klischeefreie Sportkultur und für die Gleichstellung der Geschlechter auch im Sport ein. Mehr Frauen-Sportinitiativen finden sich beim Denkanstoß von Klischeefrei.
Athletinnen
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