Wir stehen kurz vor den Olympischen Spielen. In Paris sollen das erste Mal in der Geschichte der Spiele gleich viele Athleten und Athletinnen teilnehmen. Wie sich das in der Sportberichterstattung niederschlagen wird, bleibt abzuwarten. Ich habe das anstehende Großereignis zum Anlass genommen, mir anzuschauen, wie aktuell über Sportlerinnen berichtet wird. Bei meinem Streifzug durch verschiedene Onlinemedien steht im Sinne des Projekts Bildermächtig die bildliche Berichterstattung zu den Athletinnen im Fokus.
Kein Männerfußball, keine Bilder?
Zunächst sei gesagt: Es braucht Geduld. Bei vielen Onlinemedien ist ausdauerndes Scrollen gefragt, bis die ersten Bilder von Sportlerinnen auftauchen. Auf kicker.de musste ich mich erst durch die Finalspiele der nordamerikanischen Eishockey- und Basketball-Ligen der Männer weiter nach unten arbeiten, um dann beim deutschen Frauenfußball anzugelangen. Auf waz.de, dem Internetauftritt der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, habe ich in der Sportrubrik an einem Mittag Mitte Mai über 70 Bilder gezählt. Auf keinem einzigen war eine Sportlerin zu sehen.
Zwei Frauen schafften es aber doch auf die Seite: Seniorin Lotti, die in einem Clip zur Fußball-EM der Männer eine wichtige Rolle spielte, sowie eine Mexikanerin, die sich mit ihrem Ehemann einen Traum erfüllte und ihre Hochzeitsreise in der Arena auf Schalke zelebrierte. Hier muss allerdings eingeschränkt werden, dass sämtliche Nicht-Fußballer genauso marginalisiert wurden wie Sportlerinnen.
Es ging bei allen Artikeln um Männerfußball, nur einmal war Eishockey der Männer das Thema. Auch auf faz.de habe ich es am gleichen Tag mit Köpfezählen probiert: Bei insgesamt 37 Bildern im Sportbereich waren auf fünf Bildern Frauen zu finden. Doch es gibt auch positive Beispiele, auf der Website spox.de ist zum Beispiel „Fußball der Frauen“ bei den Rubriken ganz prominent dabei. Auf sport1.de widmet sich häufig die Mehrheit der Tennis-Berichte den Frauen – ohne an dieser Stelle auf das Wie der Berichterstattung einzugehen.
Sportlerinnen in den Medien: Das sagt die Wissenschaft
Die mediale Unterrepräsentanz von Athletinnen kam auch bei qualitativen Interviews durch den Verein Athleten Deutschland zur Sprache – im Zuge ihrer Initiative „Athletinnen D“. Fast die Hälfte der Befragten (26 Athletinnen aus 21 verschiedenen Sportarten) gab an, dass Frauen innerhalb der eigenen Sportart eine geringere mediale Aufmerksamkeit erfahren würden als Männer.
Wissenschaftlich fundiert findet sich das auch bei Studien der Kölner Sportsoziologinnen Ilse Hartmann-Tews, Diana Emberger und Birgit Braumüller. Das Trio hat sich mit der Berichterstattung in Printmedien bei den Olympischen Sommerspielen 2000 bis 2016 beschäftigt. Dabei kamen sie unter anderem zu der Erkenntnis, dass signifikant weniger Bilder über Sportlerinnen erschienen seien.
Doch damit es weibliche Vorbilder im Sport gibt, braucht es Bilder und Geschichten von diesen. Nicht nur für Kinder, die von professionellen Sportkarrieren träumen, sondern auch, um zum simplen Sportmachen, zur Bewegung zu motivieren. Außerdem kann erst mit Bildern eine Historie des Sports kreiert werden. Die Tatsache, dass es weiterhin wenige Bilder sind, verleiht jedem einzelnen Foto noch mehr Gewicht – und denen, die sie auswählen und in Artikel einbauen, mehr Verantwortung.
Ent-sportlicht: 4 Beispiele für verfehlte Berichterstattung
1. Klara Bühl: DFB-Spielerin häkelt gerne
Was wissen Sie über Klara Bühl? Dass die 23-jährige Offensivspielerin für die deutsche Fußballnationalmannschaft bereits über 20 Tore erzielte und 2023 als deutsche Nationalspielerin des Jahres ausgezeichnet wurde? Oder ist vielleicht doch ihr Hobby präsenter? Klara Bühl häkelt in ihrer Freizeit, und genau das war besonders rund um die WM 2023 ein beliebtes Thema in den Medien. So auch auf express.de im vergangenen Juli. Dort lächelt sie in die Kamera und hält einen gehäkelten Koalabären in die Kamera. Die Trainingsjacke lässt darauf schließen, dass wir es mit einer Athletin zu tun haben könnten. Doch die sportliche Seite von Bühl steht klar im Schatten. Durch die Überschrift („[…] Das ist der große Star im DFB-Team“) wird die Spielerin sogar selbst in den Hintergrund gedrängt. Denn dieser „Star“ – so wird es im Artikel erklärt – ist das Kuscheltier.
2. Marketa Vondrousova: Wimbledonsiegerin lässt sich scheiden
Ein weiteres aktuelles Beispiel für solch eine Verschiebung ins Außersportliche ist ein Artikel auf sport1.de mit der Überschrift: „Ehe-Aus bei Wimbledonsiegerin“. Eine Halbkörperaufnahme mit einer nachdenklich blickenden Marketa Vondrousova dient als Bebilderung. Zwar ist der Sportkontext anhand der Anziehsachen und des Tennisballs sichtbar, doch letzteren hält sie nur in der Hand. Eine aktive Frau bietet das Foto nicht. Für Bilder von Sportlerinnen und Bildformate interessierte sich Sportsoziologin Marie-Luise Klein bereits vor über 40 Jahren. Damals analysierte sie anhand von vier Tageszeitungen die bildliche und sprachliche Präsentation von Frauen in der Sportberichterstattung und legte den Grundstein für spätere Studien.
Dabei fiel ihr unter anderem auf, dass Artikel zu Athletinnen vermehrt mit Portraits und Halbportraits bebildert wurden, während Männer dank Ganzkörperbildern in Aktion gezeigt wurden. Klein beschrieb das mit einer den Frauen so zugeschriebenen Bewegungslosigkeit und Passivität. Auch wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten seit Kleins Studie einiges positiv entwickelt hat, finde ich ihre Begrifflichkeiten und Beobachtungen auch heute noch interessant, um solche Beispiele der Berichterstattung zu erkennen, die in der Zeit stehen geblieben sind – bei denen Athletinnen ihrer sportlichen Aktivität beraubt werden.
Im Juli 2023 wurde auf sport1.de über Marketa Vondrousovas sportlichen Erfolg – ihren Wimbledonsieg – berichtet, allerdings ohne Aktionsbild. Die Spielerin wurde am Boden liegend gezeigt. Im Artikel ging es dann hauptsächlich darum, dass sowohl Gewinnerin als auch Verliererin geweint haben. Der Titel: „Bittere Tränen nach Tennis-Sensation!“
3. Jutta Leerdam: Weltmeisterin öffnet ihren Rennanzug
Der Zopf ist bereits gelöst, der hautenge Rennanzug bis zum Bauch geöffnet. Ihr Blick geht zur Seite, der rechte Arm ist auf die Hüfte gestützt. Das Bild von Eisschnellläuferin Jutta Leerdam auf sport.de zeigt den Moment nach dem Rennen. Ihre Beine und das wichtigste Arbeitswerkzeug – ihre Schlittschuhe – sind nicht im Bild. Wie die 25-Jährige mit kraftvollen Schritten und schwingenden Armbewegungen sechsfache Weltmeisterin und Silbergewinnerin bei Olympischen Spielen werden konnte, lässt dieses Bild nicht erahnen. Die Athletin wird – obwohl noch im Rennkontext abgebildet – entsportlicht (in der internationalen Forschung wird für solche Beispiele der Begriff „de-athletization“ benutzt).
Es gibt aber auch Positives: Der Artikel dreht sich um ein sportliches Thema, darum, dass Leerdam in Zukunft alleine und ohne ein Team trainieren wird. Bei anderen Medien stehen rund um die Wintersportlerin meist ihre Liebesbeziehungen im Fokus. Das schlägt sich auch in der Auswahl der Bilder nieder. Denn wer sich durch vergangene Nachrichten über die Niederländerin in verschiedenen Medien klickt, wird kaum ein Bild in Aktion finden. Szenen nach dem Rennen wie bei sport.de oder private Bilder dominieren.
Sicherlich kann hier entgegnet werden, dass die Sportlerin während des Rennens nur schwer zu erkennen ist – aufgrund der getönten Sonnenbrille in Kombination mit einer meist enganliegenden Kapuze und dem aerodynamischen Ganzkörperanzug. Dass es somit das Bild nach dem Sport braucht, um sie überhaupt als Person darzustellen. Doch Nachrichtenbilder von Jordan Stolz, einem der aktuell schnellsten Männer auf dem Eis, erzählen eine andere Geschichte. Aktionsbilder, bei denen der US-Amerikaner in der Kurve liegt, und Jubelbilder wechseln sich hier ab.
4. Alisha Lehmann: Fußballerin lässt ihr Haar wehen
Die visuelle Präsentation von Alisha Lehmann auf bild.de hat Ähnlichkeiten mit der von Jutta Leerdam. Auch der Artikel zur Fußballerin wird nicht mit einem Aktionsbild, sondern mit einem Halbkörperportrait aufgemacht. Statt auf Füße und Beine der Schweizerin oder gar einen Ball, blicken wir vor allem auf ihre langen blonden Haare. Immerhin scheint Lehmann im Lauf zu sein, somit ist sie nicht komplett passiv dargestellt.
Wie die Überschrift schon erahnen lässt, wird im Artikel ähnlich wie bei Eisschnellläuferin Leerdam ein sportliches Thema – Wechselgerüchte – thematisiert. Dass bild.de hier über einen möglichen Transfer einer Fußballerin berichtet, könnte positiv bewertet werden, da es sonst außerhalb von großen Turnieren nur selten eine Spielerin in die Fußball-News schafft.
Das Wort „England-Star“ in der Überschrift lässt allerdings aufhorchen. Denn genau das ist Lehmann fußballerisch aktuell kaum: Die Schweizerin spielt bei einem englischen Verein (Aston Villa), der die Saison in der Tabellenmitte der ersten Liga abgeschlossen hat. Dort gehört sie nicht zur Stammelf. Bei der WM im vergangenen Jahr wurde sie zweimal bei Spielen für die Schweiz eingewechselt. Sportliche Leistung ist in diesem Fall nicht der Aufhänger der Berichterstattung.
Zu facettenreich? Frauenthemen in der Sportberichterstattung
Natürlich entledigt sich eine Sportlerin nicht all ihrer Facetten, wenn sie zum Tennis-Match antritt oder das Fußballfeld betritt. Sie ist nicht nur Athletin, sondern auch Studentin, Mutter, Häkel-Fan und hat womöglich ihre Periode. Oft ist die Sportlerin auch auf den ersten Blick facettenreicher als ihr männlicher Konterpart. Da sie zum Beispiel zwischen den Trainingseinheiten arbeitet, weil sie mit dem Sport allein zu wenig Geld verdient.
Die Arbeit neben dem Leistungssport, die Auswirkungen der Periode: All das sind definitiv Themen, die zur Sportberichterstattung über Frauen gehören und außerdem Anknüpfungspunkte zur Identifizierung bieten. Doch trotz all der interessanten Facetten: Als festes Fundament sollte immer der Sport dienen. Bei der Befragung von Athleten Deutschland ging es unter anderem um diesen gewünschten Fokus. Die Athletinnen kritisierten selbst, dass Berichterstattung und Kameraführung mehr die Kleidung, die Körper oder das Privatleben der Frauen thematisierten als ihre sportlichen Leistungen.
Eine Meldung wert? Frauen auf den Titelseiten
Wer sich durch sportliche Informationen klickt, erfährt oft ganz nebenbei noch etwas Nicht-Sportliches über Partnerinnen von Fußballern oder andere Frauen, die zur Welt des Sports gehören, (meist) ohne selbst Sportlerin zu sein. Hier finden sich die offensichtlichsten Formen der Sexualisierung.
Zwischen (Männer-)Fußballergebnissen vom Wochenende und Wechselgerüchten erscheint auf sportbild.de ein Bild von Michèle Lacroix, Ehefrau des belgischen Fußballers Kevin de Bruyne, auf dem diese im kurzen Kleid auf einem Bett sitzt. Die bewusst doppeldeutige Überschrift „Was blitzt denn da bei Frau De Bruyne“ spielt auf ihre glitzernde Fußkette an.
Höchstwahrscheinlich mit dem Hintergedanken, dass sich vor allem Männer die Sportmeldungen ansehen, werden solche Bilder und Stories ausgewählt. Damit wird nicht nur die abgebildete Frau abgewertet, sondern gleichzeitig auch das angedachte männliche Publikum. Durch solch eine Berichterstattung wird diesem unterstellt, dass es zwar in der Lage ist, sich für Transfer-Updates und Spieltaktiken der Männer-Fußballbundesliga zu interessieren, nicht aber für Frauen mit sportlich herausragenden Leistungen. Weibliche Sportinteressierte werden zudem direkt verschreckt. Die Message solcher Bilder und Artikel: Wenn Frauen Teil der Sportwelt sind, dann sind sie es als sexy Beiwerk und nicht als aktive Teilnehmerin.
Sportsoziologie und Genderbalance
Wer sich eingehender mit dem Thema auseinandersetzen möchte, hat dazu mit Studien, Vorträgen und Texten von Sportsoziologin llse Hartmann-Tews die Chance. Zu den Pionierinnen in dem Forschungsgebiet zählen zudem Marie-Luise Klein und Gertrud Pfister.
Interessant ist auch der Blick hinüber nach Österreich, dort erschien vor wenigen Jahren eine umfassende Studie zur Genderbalance in der Sportberichterstattung.
Kerstin Börß
Gastautorin
Sexualisierte Kleiderordnung
Sportlerinnen wehren sich
Frauenfußball
Sexismus in den Medien