Feminism WTF: Ein Sprechfilm mit Symbolkraft

von | 6. September 2023 | Bildimpulse, Rezension

Mint, Ozeanblau, Rubinrot, Sonnengelb, Schlammbraun – und ja, auch Rosa! Dass ein Film in Farben schwelgt, klingt abgedroschen. Aber dieser tut es. Das Setdesign sollte ganz bewusst aussehen wie „Candywrapping“, sagt Regisseurin Katharina Mueckstein. Wie das Bonbonpapier zurückbleibt, wenn der Bonbon gelutscht ist, bleibt nach dem letzten Ton der Eindruck hängen: Feminismus ist bunt. Dabei ist FEMINISM WTF eine Dokumentation mit klassischen „Talking Heads“. Expert*innen aus Wissenschaft und Forschung erklären feministische Ideen und Erkenntnisse: Warum Sorgearbeit einseitig verteilt ist, dass Diskriminierung mehrfach und überkreuzend sein kann, und wie wir das vorherrschende Bild von Männlichkeit kritisch hinterfragen können.

„Sprache ist ein stark umkämpftes Feld, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht. Ganz klar prägt Sprache die Wahrnehmung und Gestaltung von Wirklichkeit. Das Weitertragen des feministischen Wortes ist das Grundanliegen dieses Films,“ so erklärt es Katharina Mueckstein im Gespräch mit Karin Schiefer von „Austrian Films“, einer Non-Profit-Organisation, die das österreichische Kino fördert.

„WTF – What the fuck?“: Was soll das?

Die Österreicherin hat Philosophie und Genderstudies studiert, außerdem Regie und Produktion. Sie dreht sonst Spielfilme und Fernsehkrimis. Die Idee zur Doku kam Mueckstein, weil sie genervt war von den Feminismus-Debatten in den Medien – meistens geprägt von Polemik und selten von Fachwissen. Also dachte sie sich „WTF – What the fuck?“: Was soll das? und versammelte in leerstehenden Bürohäusern in Wien Menschen, die sich damit auskennen, anschaulich darüber sprechen können – und noch nicht durch alle TV-Talkshows getingelt sind.

Das sind die Erziehungswissenschaftlerin Maisha Auma, der Sprachwissenschaftler Persson Perry Baumgartinger, die Sozialwissenschaftlerin Astrid Biele Mefebue, die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan, der Männlichkeitsforscher Christoph May, die Biologin Sigrid Schmitz, die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach, die Sexualwissenschaftlerin Rona Torenz, die Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky, die Publizistin Laura Wiesböck und die Sozialpädagogin Emilene Wopana Mudim.

Eigentlich wollte Mueckstein den Film mit international bekannten Expert*innen auf Englisch drehen. Sie dachte, dass sie „die großen amerikanischen Stars brauche, damit sich jemand den Film anschaut“. Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung, was sie im Nachhinein als Geschenk betrachtet, „da es die Gelegenheit war, viele Entdeckungen im deutschsprachigen Raum zu machen“.

Fast hätte sie also das gleiche Prinzip angewandt, mit dem auch Redaktionen die begrenzte Auswahl ihrer Talk- oder Interviewgäste rechtfertigen: „Dass der Ruhm, den jemand mitbringt, mehr zählt als die Inhalte, die jemand einbringt.“ Heute bezeichnet sie den Gedanken als „unfeministisch“. Denn in ihrem Ansatz von Feminismus geht es nicht nur um Geschlecht, sondern auch um Diskriminierungskategorien wie Race, Ethnizität oder Klasse. Sie kritisiert nicht nur das Patriarchat, sondern auch den Kapitalismus.

Feminismus kann poppig-bunt

Dazu passt die bunt dekorierte Büroarchitektur, in der die Fachleute im schicken Outfit farblich passend auf stylischen Möbeln sitzen. „Mir gefiel der Gedanke, in ein Haus zu gehen, das aus einer patriarchal-kapitalistischen Idee heraus gebaut worden ist, um Menschen und ihre Arbeitskraft auszubeuten. Wir nehmen das, was dort an Resten zurückbleibt und machen einen Film daraus.“

Wer sich ein wenig für Feminismus interessiert, wird in der Doku einige Tatsachen und Theorien hören, die sie oder er schon kennt: Parlamente sind männlich dominiert, ebenso die Chefredaktionen deutscher Regionalzeitungen. Häusliche Gewalt wird weitgehend von Männern ausgeübt. Manche Mädchen stellen sich in Mathe dümmer an als sie sind, um einer gewünschten Form von Weiblichkeit zu entsprechen. Und es gibt mehr Bürgermeister, die Thomas heißen, als Bürgermeisterinnen. Andererseits ist FEMINISM WTF auch nicht ganz niederschwellig und egalitär. Begriffe wie binär, divers, biologistisch, intersektional werden vorausgesetzt. Vieles kommt aber klar und treffend auf den Punkt.

Theorie und Tanzperformance

„Geschlecht ist der letzte Ort der Versicherung in einer sehr unsicheren Welt“, erklärt die Biologin Sigrid Schmitz dazu, warum so viele Menschen nicht von der einfachen Einteilung in Männer und Frauen absehen wollen. Die Aussage „Ich bin halt so“, gibt Sicherheit. Besonders stark formuliert die Wiener Soziologin und Publizistin Laura Wiesböck: „Ein Mann, der eine Minderjährige vergewaltigt hat, kann trotzdem noch den Preis fu?r beste Regie bekommen. Ein Mann, der den Kopf seiner Ehefrau auf den Steinboden schlägt, bekommt den Nobelpreis für Literatur. Ein Mann, der Vorwürfe im zweistelligen Bereich von sexueller Gewalt und sexueller Belästigung hat, wird US-amerikanischer Präsident. All das zeigt und vermittelt gesellschaftlich, dass es keine nachträglichen Auswirkungen auf gesellschaftliche Anerkennung hat, wenn weiße Männer Gewalt an Frauen ausüben.“

In den Sequenzen zwischen den Interviews bewegen sich Tanzende in bunten Kostümen durch die leeren Räume. Zwei korpulente, kahlköpfige Männer küssen sich in einer Umkleidekabine. Frauen mit vielfältigen Körperformen üben Selbstverteidigung an einem Dummy. Alles gipfelt in einem ikonischen Bild, das die gängigen Klischees durchbricht: Da steht ein muskulöser Mann – zumindest würde ihn wohl die Mehrheit der Zusehenden als männlich lesen. Zärtlich hält er ein Baby an seine nackte Brust, als wollte er es stillen. Auf dem Kopf trägt er eine Art Brautschleier mit riesiger Blumenkrone. Schöne neue Welt, ganz unironisch.

Mit Feminismus die Welt retten?

Der Verleih bewirbt die Doku mit der Logline: „FEMINISM WTF zeigt, wie wir mit Feminismus die Welt retten“. Das ist dann doch etwas hochgegriffen. Zwar legen die Expert*innen überzeugend dar, dass auch die Klima- und andere Krisen nicht ohne Feminismus gelöst werden können und machen sich am Ende Gedanken, wo der Feminismus in 100 Jahren stehen könnte. Und: „Ich wollte keinen Film machen, der auf die antifeministischen Ideologien, die wir so stark internalisiert haben, reagiert. Ich wollte nichts von dem aussprechen, was ich in der Vergangenheit lassen möchte“, so Mueckstein. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, wie dieser Fortschritt gelingen kann oder was dafür passieren muss.

Auch die These, „Die Frauenbewegung ist die erfolgreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts und hat alle Gesellschaftsschichten erfasst“, überzeugt nicht so ganz. Denn der Männerforscher Christoph May sagt im Film: „Männer nehmen nicht in relevanter Zahl am feministischen Diskurs teil. Das kann ich nirgendwo sehen oder erkennen. Das passiert auch seit der #MeToo-Debatte nicht. Das sind ein paar, aber nicht, dass das gesellschaftlich relevant ist. Männer messen Feminismus so gut wie keine Bedeutung bei, weil es kein Thema für sie ist.“

Vielleicht kann FEMINSM WTF das ein wenig ändern. Bei der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, gewann die Dokumentation den Publikumspreis. Und auch beim DOK.fest München zählte der poppige, unterhaltsame Film zu den Zuschauerlieblingen. Die dafür angesetzte Zusatzvorstellung war auf jeden Fall rappelvoll – auch mit Männern.

 

FEMINISM WTF
Dokumentarfilm von Katharina Mueckstein
Hergestellt in Österreich von mindjazz pictures
Filmstart: 7.9.2023 bundesweit in vielen Kinos

Portrait Angelika Knop

© Christiane Kappes

Angelika Knop

Gastautorin

Als Journalistin und Moderatorin, berichtet Angelika Knop über Recht und Justiz, Medien und Frauenpolitik. Als Dozentin für Journalistik bringt sie ihren Studierenden näher, wie sie verantwortungsvoll mit Daten, Sprache und Bildern umgehen. Ihr Credo: Kritisch sein – auch sich selbst gegenüber, Fehler entdecken, dazulernen, Neues ausprobieren.

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