Das ultimative Genderwörterbuch: Das erste seiner Art

von | 15. April 2021 | Praxistipps, Sprachpolitik

Fröschlein im Seerosenteich auf grünem Gartenschlauch

Wenn Sie beim Gendern auf dem Schlauch stehen, hilft ein Blick ins Genderwörterbuch.
© picture alliance, ImageBROKER, Christian Handl

Von Abbrecherquote bis Zuwanderer – Wer männlich geprägte Wörter als störend empfindet, kann im Genderwörterbuch nach passendem Ersatz suchen. 1658 gegenderte Begriffe bietet das Onlinelexikon, Stand April 2021. Oft findet sich anstelle der männlichen Personenbeschreibung eine Tätigkeit: Aus der Abbrecherquote wird die Abbruchquote. Oder es werden Partizipien oder Umschreibungen vorgeschlagen. Statt Zuwanderer zu schreiben, geht ja auch Zugewanderte; Personen mit Migrationshintergrund; Eingewanderte; Migrierte.

 

Geschickt Gendern – der Name ist Programm

Als das Genderwörterbuch im Februar 2015 online ging, war es die erste Website zum Gendern. Es trägt seine Botschaft im Namen: Geschickt gendern. So lautet auch die Webadresse: https://geschicktgendern.de/

Erfinderin des Genderwörterbuchs ist Johanna Usinger. Die Pädagogin betreibt es ehrenamtlich neben ihrer Arbeit in einer Beratungsstelle für Studierende in Kiel. Die Website designt hat ihr Bruder. Philipp Müller ist Journalist, er unterstützt sie weiterhin technisch und bei Presseanfragen. Wenn es mal sein muss, bringt er Hatemails zur Anzeige.

Ein Gespräch mit Johanna Usinger über die Suche nach Geschlechtergerechtigkeit im alltäglichen Wortschatz.

 

Deutschland, das Land der Dichter und Denker – wer denkt da an die Frauen?

Die Frage wurde uns auch gestellt. Wir haben über das Wörterbuch unsere Community gefragt: Was meint Ihr? Da kamen dann Vorschläge wie „das Land der Literatur“ oder „das Land des Dichtens und Denkens“. „Das Land der Dichter*innen und Denker*innen“ wollten wir nicht haben. Wir suchen ja geschlechtsneutrale Alternativen. Also alles, was ohne das Gendersternchen auskommt.

 

2015 haben Sie das Genderwörterbuch als Webprojekt gestartet. Als Erste, vor allen anderen. Wie kam es dazu?

Meine Masterarbeit in Pädagogik sollte ich ganz klassisch in gendergerechter Sprache abfassen. Ich hatte aber keine Lust, 80 Seiten mit Doppelformen zu füllen. Ich habe nach Wortalternativen gesucht. Im Internet fand ich dann PDFs von Hochschulen mit Tipps und Tricks und kleinen Wortlisten, was man stattdessen sagen kann, zum Beispiel Redepult statt Rednerpult. Da kam ich auf die Idee, dass es praktisch wäre, ein Online-Wörterbuch zu haben, in dem ich schnell nachschauen kann, wenn ich sowieso am PC sitze.

Weil es das nicht gab, habe ich mit meinem Bruder zusammen die Website gemacht. Wir haben mit 150 Wörtern angefangen, jetzt sind wir bei weit über 1600. Und es werden immer noch mehr. Auf der Website bieten wir die Möglichkeit, einfach ein Wort einzuschicken, das wir im Genderwörterbuch noch nicht haben. Es kommen täglich neue Vorschläge rein, oft mit Ideen für Alternativen. Wenn nicht, dann überlegen wir uns etwas.

 

Das Gendern ist seit 2015 im Turbogang vorangeeilt. Wie halten Sie da Schritt?

Die Welle mit dem Genderstern hat mich überrascht. 2015 hätte ich nicht gedacht, dass er sich so breit durchsetzen würde. Vor etwa zwei Jahren kam der Doppelpunkt dazu, das ist eine wahnsinnig dynamische Entwicklung. Es gibt immer mehr Leute, die sich fürs Gendern engagieren. Damit steigt auch die Zahl der Anfragen, über hundert im Monat. „Wie kann ich das umformulieren?“ fragen sie uns. Das Neueste war der Umgang mit Berufsbezeichnungen, die aus dem Englischen stammen: „Darf es Producerin heißen?“

 

Das Genderwörterbuch wächst und wächst, nicht nur im Wortverzeichnis.

Zuerst hatten wir nur kurze Erläuterungen zu den Schreibweisen, zu Vor- und Nachteilen. Und wir haben die Ratgeber, die vielen in pdf-Form, zum Weiterlesen verlinkt. Inzwischen haben wir einen Blog hinzugefügt, über den wir auf interessante Artikel hinweisen. Wir sind jetzt auch auf Twitter. Wir haben lange überlegt, ob wir da mitmachen. Einfach weil es so viel Hass gibt. Da haben wir lange gezögert, ob wir uns das antun wollen.

 

Mit Hass haben Sie Erfahrung: Kaum war das Genderwörterbuch 2015 in der Welt, ging es los.

Ich habe zunächst das Genderwörterbuch über meinen großen Verteiler aus Unizeiten beworben: Schaut mal, hier gibt es ein Tool für Leute, die Antworten suchen. Ich wollte niemand missionieren. Da kam eine Riesenwelle hasserfüllter Mails von Leuten, die studiert haben, aus dem akademischen Umfeld. Ich war super überrascht, dass es so viel Gegenwehr gibt. Und es hört nicht auf.

Wir bekommen manchmal seitenlange E-Mails. Also ein Mensch setzt sich vor den Computer, nimmt sich die Zeit, seine Kritik auszuführen und uns zu beschimpfen. Ich frage mich, wo kommt diese Energie her? Man kann die Website ja schlecht finden, aber dann klickt man das doch einfach weg.

 

Wie erklären Sie sich die Aggressionen, den Hass?

Ich habe bis heute keine abschließende Antwort für diese Ablehnung. Sprache ist so etwas krass Individuelles, und wir alle spüren: Es ist meine Identität, wie ich spreche. Dann kommt da jemand und verlangt vermeintlich, ich solle mich anders ausdrücken. Das berührt etwas ganz Persönliches.

Wenn jemand den Finger in die Wunde legt und sagt, hier stimmt etwas mit der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht: Das wollen viele einfach nicht wahrhaben, oder wollen – als Männer – ihre Machtposition nicht aufgeben. Wir müssen aber sehen: Es gibt eine Ungleichbehandlung in unserem Land, 2021 in Deutschland. Und das machen wir mit Sprache sichtbar.

 

Für das Genderwörterbuch denken Sie sich irrwitzige Alternativwörter aus:

Statt Designer bieten Sie „Designschaffende“, statt Fahrschüler „Fahrlernende“. 

Ich denke bei beiden Wörtern wissen wir gleich, was gemeint ist, auch wenn sie neu sind. Irrwitzig finde ich sie nicht. Kunstschaffende und Filmschaffende sind schon etablierte Wörter und auch im Duden zu finden. Warum dann nicht von Architekturschaffenden oder Designschaffenden reden?

 

Auch Doppelwörter sind Ihnen ein Dorn im Auge.

Statt Kundenkonto sagen Sie „Nutzungskonto“, statt Räuberleiter „Steighilfe“. Wie weit gehen Ihre Eingriffe in gewohnte bzw. blumige oder auch liebgewonnene Begriffe?

Das Genderwörterbuch bietet Inspirationen, wie gegendert werden kann. Je nach Kontext passen diese Wörter – oder auch nicht. Die Vorschläge sollen dazu animieren, einerseits Wörter zu entdecken, die im generischen Maskulin stehen und andererseits selbst kreativ zu werden und sich selbst Alternativen auszudenken. Bei Kundenkonto kann in vielen Kontexten auch einfach von Konto gesprochen werden. Die Alternativen von Räuberleiter habe ich erst neulich per Nachricht erhalten. Das war mir bisher auch noch nicht aufgefallen, dass darin ja der Räuber steckt. Da die wenigsten bei einer Räuberleiter aber an einen Räuber denken, der gerade über eine Mauer klettert, kann ich mit dem Begriff auch leben.

 

Wir finden viele Ihrer Wortalternativen ganz schön weithergeholt.

Genderleicht hat eine andere Zielgruppe als unser Genderwörterbuch. Sprache in den Medien ist etwas anderes als Sprache in der Verwaltung. Wir sind vielfach in den Leitfäden und Handbüchern von Städten und Institutionen verlinkt. Die haben auch Dienstvereinbarungen. Unsere Wortvorschläge werden dort gut genutzt und können sich ruhig wiederholen. Da geht es nicht darum, besonders schön zu klingen. Für das journalistische Schreiben braucht es andere Wörter. Da sollen schön lesbare Texte entstehen und nicht unbedingt Gebrauchstexte.

 

Als Strategie empfehlen Sie genderneutrale Formulierungen.

Ja, weil ich finde, dass mit unseren Vorschlägen in Kombination mit Tipps und Tricks zum Gendern wie Umschreibungen und Pluralformen sehr gute flüssige Texte entstehen – zumindest flüssiger und besser lesbar als mit Sonderzeichen wie das Sternchen. Das liebe ich ja gerade an den neutralen Formen und Umschreibungen, dass Texte eben viel schöner zu lesen sind, und trotzdem genderneutral sind.

 

Berufen Sie sich auf den Duden?

Ich dachte immer: Duden, das ist sehr steif, die arbeiten nur nach dem Prinzip, was ist erlaubt und was nicht? Aber sie erklären deutlich, was amtliche Rechtschreibung ist, und was außerdem noch möglich ist. Damit lässt sich gut arbeiten.

Manchmal werden wir gefragt: „Eure Wörter stehen nicht im Duden. Dürfen wir die überhaupt verwenden?“ Meine Antwort ist dann: Der Duden hinkt der Zeit hinterher. Er bildet ab, wie die Sprachgemeinschaft spricht und schreibt. Gibt es Veränderungen, nimmt er das zu einem späteren Zeitpunkt auf. Als wir angefangen haben Handy zu sagen, stand das Wort auch noch nicht im Duden. Das kam später. Wir können also ruhig Neues kreieren, und vielleicht steht es eines Tages im Duden drin.

 

Sie mussten sich aufs Gendersternchen umstellen. Wie vermitteln Sie dessen Bedeutung?

Unser Wörterbuch kommt ohne Sternchen aus, wir listen geschlechtsneutrale Wörter auf. Aber wir schauen natürlich auf die gendergerechten Sonderzeichen und klären auch über die Bedeutung auf. Der Erfolg des Gendersterns hat mich überrascht. Es ist für viele Leute eine Herausforderung, sich mit der Tatsache zu befassen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Denn das zeigt das Sternchen an.

In meinen Schulungen und Beratungen zur Einführung von gendergerechter Sprache in Institutionen und Unternehmen schaue ich, was ist denn schon da? Wenn nur von Männern die Rede ist, ist der erste Schritt überhaupt Frauen zu nennen. Wenn ich gleich mit dem Sternchen komme, überfahre ich viele und erhalte keine Akzeptanz.

Ich erlebe, dass viele das Sternchen benutzen oder auch mit der Lücke sprechen. Aber ganz viele Menschen denken, es ist eine verkürzte Sprechweise für die Doppelform von Männern und Frauen. Sie denken, sie müssen das jetzt so machen, wissen aber gar nicht genau, dass es für die Vielfalt der Geschlechter steht.

 

Was sagen Sie zum Gender-Doppelpunkt?

Seit zwei Jahren ist der Doppelpunkt als gendergerechtes Sonderzeichen in der Welt, er ist auf jeden Fall unauffälliger und schlanker als das Sternchen. Man sagt, er ist barrierefrei. Aber dazu gibt es verschiedene Ansichten, er strahlt auch nicht für die Vielfalt wie der Genderstern. Es ist einfach so: Wir haben sie noch nicht gefunden, die eine, für alles passende Lösung für das Gendern.

Die Menschen, mit denen arbeite, zum Beispiel in meinen Workshops, die sehnen sich nach der ultimativen Lösung: Sag mir, soll ich Sternchen oder Doppelpunkt nehmen und wie wende ich das an? Irgendwie ist es ok, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung noch nichts entschieden hat. Aber die, die damit arbeiten müssen, würden gern verlässlich Regeln nachschlagen können.

 

Wie war das für Sie, als 2019 Genderleicht.de im Internet auftauchte?

Erstmal dachte ich Uups, noch eine Website zum Gendern. Aber was ich gleich super fand, dass Genderleicht so superprofessionell und dabei nicht kommerziell ist. Weil Sie ein gefördertes Projekt sind, haben Sie viel mehr Zeit, um das Thema zu vertiefen. So haben Sie Studien und ähnliche Inhalte auf die Seite gebracht, was ich auch gern gehabt hätte. Aber wenn du das nebenbei machst, so wie ich, geht vieles nicht. Und ich will das Genderwörterbuch auch schlank halten. Ich freue mich, dass ich auf Genderleicht.de verweisen kann. Oder bei Fragen, die ich nicht beantworten kann, sag ich: Schick es doch ans Textlabor. Ich finde es gut, dass es Sie gibt.

Uns geht es auch so: Wir schätzen das Genderwörterbuch sehr und haben bei Genderleicht.de an vielen Stellen Links zu geschicktgendern.de gesetzt.

Ich danke für das Gespräch.

Portrait Christine Olderdissen

© Katrin Dinkel

Christine Olderdissen

Genderleicht & Bildermächtig Projektleiterin

Als das erste Mal eine Interviewpartnerin mit dem Glottisschlag sprach, war das für sie ein Signal: Schluss mit dem generischen Maskulinum, lieber nach einer sprachlichen Alternative suchen. Eine einfache und elegante Lösung findet sich immer. Lange Zeit Fernsehjournalistin galt ihr Augenmerk schon immer der Berichterstattung ohne Stereotype und Klischees.

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