Büchertipps: Sexismus, Gender und mehr

von | 2. Juni 2021 | Rezension, Sprachpolitik

Mädchen beim Kopfstand auf Sofa

Die Dinge mal aus einer anderen Perspektive betrachten. Das öffnet auch beim Geschlechterverhältnis die Augen.
© Westend61, Joseffson JOSEF

Sprache transportiert Informationen. Eine Sprache, die Frauen und Männer nicht gleichermaßen sichtbar macht, beschreibt eine Welt, die vor allem eines ist: männlich geprägt. Team Genderleicht hat einen Blick auf Bücher geworfen, die die gewachsenen patriarchalen Strukturen hinterfragen und analysieren. Die Autor*innen liefern wertvolle Denkanstöße und zeigen: Beim Gendern geht es weniger um Satzzeichen und Grammatik, als vielmehr um Gleichstellung.

 

Denkanstöße in Buchform

 

Das Patriarchat der Dinge: Warum die Welt Frauen nicht passt, Rebekka Endler, (2021), Verlag: DuMont

Diese kurzweilige Neuerscheinung verblüfft, bringt zum Schmunzeln und weckt sehr oft den Drang, einige der kuriosen Fallbeispiele selbst nachzurecherchieren und Bilder davon mit eigenen Augen zu sehen – um dann stets festzustellen: wirklich wahr! Zu unglaublich sind die unzähligen Belege für das Ausmaß, mit dem patriarchale Ideen unsere Gesellschaft prägen. Pointiert erläutert die Autorin, welche Konsequenzen die oftmals absurde männliche Dominanz für uns alle hat. Im lebhaften Plauderton geht es dabei neben der Sprache um die unterschiedlichsten Bereiche, bei denen der Mann das Maß aller Dinge ist: Erinnerungskultur und Deutungshoheit, Gesundheit, der öffentliche Raum, Kunst, Technik, Sport, Design und vieles mehr. Journalistisch sorgfältig recherchierte Informationen, Auszüge aus Hintergrundgesprächen sowie persönliche Einblicke in die eigene Sozialisation und launige Anekdoten machen das Buch zu einer bereichernden Lektüre. Aha-Momente sind garantiert.

Katalin Valeš

 

Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert,
Caroline Criado-Perez, (2020), btb Verlag

FFP-2-Masken sind für viele Frauengesichter zu klein und bei Videokonferenzen verlieren hohe Frauenstimmen an Ausdrucksstärke: Zwei aktuelle Meldungen im Juni 2021, die illustrieren, was Caroline Criado-Perez in ihrem über 400-Seiten dicken Wälzer kritisiert: Der Mann ist der Normgeber schlechthin, auf die andere Hälfte der Menschheit wird keine Rücksicht genommen. In einer akribischen Recherche hat die Journalistin zahllose Beispiele zusammengetragen, warum vorrangig Daten über Männer unsere Welt formen. Das ist Zündstoff für jede feministische Diskussion und besser noch: eine fundierte Argumentationshilfe. Als das Buch 2020 auf Deutsch herauskam, hat es viel Nachklang auch außerhalb des Feuilletons gefunden. Und obwohl die Britin weniger Probleme mit einer geschlechtergerechten Sprache hat, gibt sie gleich zu Anfang treffende Hinweise dazu. Unter anderem verweist sie darauf, dass das generische Maskulinum wissenschaftliche Studien verzerrt – weil es beispielsweise Antworten in Fragebögen beeinflusst. Gendern ist ein weites Feld und dieses Buch ein Grundlagenwerk, das gründlich studiert sein will.

Christine Olderdissen

 

Politische Männlichkeit – Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobil machen,
Susanne Kaiser (2020) Suhrkamp Verlag

Sprache ist nicht neutral: Daran erinnert uns Susanne Kaiser mit ihrem Buch. Es ist eine Einführung in die Mannosphäre, eine Welt, die geprägt ist von organisierter Misogynie. Von der Incel- und Alt-Right-Bewegung bis zu Pick-up-Artists zeigt sich diese Frauenfeindlichkeit in unterschiedlichen Formen und zwar nicht versteckt, sondern mitten in der Öffentlichkeit. Susanne Kaiser liefert mit zahlreichen Beispielen aufschlussreiche Einblicke in die Entstehung und Vernetzung der Gruppierungen. Die Autorin weist insbesondere darauf hin, dass durch die Entwicklung eines eigenen gemeinschaftlichen Vokabulars unter den Anhängern Sprache ein zentrales Element ist und Ausdruck einer Weltanschauung, in derFrauen in die „natürliche“ Ordnung einzugliedern sind. Ein überaus aktuelles und wichtiges Thema, bei dem sich einmal mehr zeigt, welche verheerenden Auswirkungen eine Instrumentalisierung von Sprache haben kann und warum sich Frauenhass rechtsgerichteter Gruppen mit Themen wie Gender-Studies und Geschlechterrollen mobilisieren lässt.

Johanna Bamberger

 

Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern,
herausgegeben von Blu Doppe, Daniel Holtermann, (2021), UNRAST Verlag

Blu Doppe und Daniel Holtermann haben sich in dem Sammelband „Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern“ der Frage genähert, warum Männer sich weniger für die Gleichberechtigung aller Geschlechter einsetzen. Blu Doppe ist Trainer_in und Referent_in in den Bereichen Antidiskriminierung, Sensibilisierung und Radical Diversity. Daniel Holtermann ist Soziologe mit den Arbeitsschwerpunkten soziale, geschlechtliche Ungleichheiten, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sowie kritische Männlichkeitsforschung.

Der Sammelband widmet sich den Themen Geschlechtsidentität und Rollenzuweisung mit einem besonderen Fokus auf das männliche Geschlecht. Aus 15 verschiedenen Perspektiven reflektieren die Autor*innen ihre Erfahrung und Sichtweise von Männlichkeiten. Teilweise sind ihre Essays sehr persönliche Erzählungen, die nahe gehen können. Auch wissenschaftliche Abhandlungen lassen sich in dem Buch finden. Der Sammelband gewinnt durch die offene Darlegung der verschiedensten Ansichten und Erfahrungen der Protagonist*innen. Teilweise jedoch fehlen wissenschaftliche Bezüge. Ein weiterer Blick in die medizinischen und biologischen Merkmale von Geschlechtern würde die thematische Diskussion weniger einseitig erscheinen lassen. Das Buch ist nichts für Anfänger*innen. Menschen, die sich bereits mit dem eigenen Geschlecht, ihrer Herkunft und möglichen Privilegien und vielem mehr auseinandergesetzt haben, können hier weitere Denkanstöße finden. Oft werden jedoch Stereotypisierungen herangezogen, die auch mal nerven können. Ob das die Absicht der Autor*innen ist? – Das kann ich nur vermuten.

Anna E. Poth

 

Schwarzer Feminismus,
Natasha A. Kelly, (2019) Unrast Verlag

Ein Sammelband für all jene, für die Schwarzer Feminismus und Intersektionalität Fremdwörter sind. Die acht ausgewählten Texte, die erstmals in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurden, erlauben einen Perspektivwechsel und Einblicke in die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte Schwarzer feministischer Theorie. Mit dabei sind Texte von Sojourner Truth, Angela Davis, The Combahee River Collective, bell hooks, Audre Lorde, Barbara Smith, Kimberlé Crenshaw und Patricia Hill Collins.

Den Auftakt macht Sojourner Truth mit ihrer bewegenden Rede von 1851: „Bin ich etwa keine Frau*?”, in der sie die facettenartigen Formen von Diskriminierung hinterfragt. Die folgenden Texte, zwischen 1971 und 1990 entstanden, bauen darauf auf und treten, chronologisch angeordnet, in einen Dialog. Sie behandeln unter anderem Aspekte von Diskriminierungserfahrungen, Macht- und Herrschaftsverhältnissen und der Rolle der Schwarzen Frau in der feministischen Bewegung.

Das Buch zeigt auch, dass der Genderstern in der Verlagswelt angekommen ist und eingesetzt werden kann, um neben der geschlechtlichen Vielfalt Machtgefüge zu verdeutlichen. Diese Vorgehensweise wird umfassend in der Einleitung erläutert. Der deutschen Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly gelingt mit “Schwarzer Feminismus” eine lesenswerte Grundlagensammlung, die sich durch eine differenzierte Textauswahl auszeichnet.

Johanna Bamberger

 

Re:framing Gender – Geschlechtergerechte politische Kommunikation verstehen und umsetzen,
Tanja Maier, (2021) Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit zieht sich in die Länge. Sind nicht alle Argumente längst ausgetauscht? Um den Diskurs dennoch voranzutreiben, hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Reader „Re:framing Gender“ soeben eine Auswahl bewährter Strategien für eine gerechtere politische Kommunikation vorgelegt. Auf hohem theoretischem Niveau entlarvt die Kommunikationswissenschaftlerin Tanja Maier zunächst die Technik des Framings, um dann Strategien zur Veränderung von Gender-Frames vorzustellen. Im Journalismus wäre es in der Tat wichtig, sich die eigene Verwendung von Wörtern und Begriffen bewusst zu machen, die den Rahmen des Gesagten abstecken. So verweist der Reader auf Leitfäden der Neuen Deutschen Medienmacher*innen, der Leidmedien und Trans* in den Medien als Good-Practice-Beispiele für positives Framing und Re:framing.

Ein wichtiger Aspekt beim Gendern ist das Aufbrechen von Geschlechterstereotypen auch auf der Bildebene. Zunehmend wird zwar mit positiven Bildern und dem Sichtbarmachen von Vielfalt das Altbekannte und Einengende aufgeweicht. Die Autorin warnt jedoch davor, dass negative Bilder nicht unbedingt verschwinden, sondern Althergebrachtes als Gegensatz zu dem Neuen wieder bestätigt wird. So komplex dieser Text ist, so hilfreich ist er, das eigene und durchaus wohlmeinende journalistische Tun zu hinterfragen, um sich selbst eine bessere Strategie zurechtzulegen.

Download des Readers direkt bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Christine Olderdissen

 

Gender – eine illustrierte Einführung,
Meg-John Barker, Jules Scheele, (2021)  UNRAST Verlag

Meg-John Barker und Jules Scheele nehmen ihre Leser*innen mit auf eine Reise zur Entstehung des Begriffs „Gender“. Ihre illustrierte Einführung wird unterstützt von vier gezeichneten Protagonist*innen, die in Sprechblasen miteinander diskutieren und durch die Kapitel führen. Gemeinsam mit ihnen lernen die Leser*innen verschiedene wichtige Aspekte kennen. Größere Illustrationen machen komplexe Zusammenhänge einfach zugänglich. Darüber hinaus verdeutlichen die Zeichnungen oftmals das Geschriebene. Die Einführung in das Thema über die europäische Geschichte ist ein gutes Mittel, um viele Interessierte abzuholen. Dennoch bleibt dabei ein Großteil der Weltbevölkerung außen vor. Ein Blick auf andere Kulturen und deren Umgang mit verschiedenen Rollenzuweisungen und Geschlechtern wird erst im mittleren Teil des Buchs thematisiert. Die illustrierte Einführung behandelt alle wichtigen Punkte, von der Wirkung des Patriarchats, dem Kapitalismus bis hin zum biologischen und sozialen Geschlecht. Gesellschaftliche, diskriminierende Systeme der westlichen Welt werden aufgezeigt und plakativ vor Augen geführt. Das Buch macht deutlich, warum die Forderung nach der Auflösung von binären menschlichen Systemen auch die Auflösung der tradierten Geschlechter männlich und weiblich nach sich zieht. Die anschaulich als Comic aufbereitete Einführung ist gut geeignet, um sich dem Thema „Gender“ und auch der gendersensiblen Sprache auf lässige Art zu nähern.

Anna E. Poth

 

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