Wer ein Technikmagazin aufschlägt, erwartet Expertise und Know-how aus der Branche für die Branche sowie Neuigkeiten und Einschätzungen zu Markt- und Technologieentwicklungen. Wo, wenn nicht hier, bietet sich die Gelegenheit, die Frauen in der Branche vorzustellen. Mal hervorgehoben im Portrait, mal als Kollegin, Teamleiterin oder Abteilungsleiterin. Was aber sehen wir? Mit großem Abstand meistens Männer: Ingenieure, Entwickler, Geschäftsführer.
Frauen in MINT-Berufen – wir sind hier!
Spitzt sich der Fachkräftemangel weiter zu, bilden sich vermehrt Initiativen, um „Frauen für Technikthemen zu begeistern“, und es fallen Aussagen wie: „Mädchen brauchen Vorbilder“. Diverse Programme sollen die berufliche Chancengleichheit fördern und jungen Frauen die vielfältigen Berufsperspektiven in diesem Bereich aufzeigen, wie etwa: „Komm, mach MINT“, „MINTvernetzt“ oder der alljährliche Girls Day uvm.
30 Role Models auf einen Schlag
Wir brauchen eigentlich nicht länger zu suchen. Es gibt sie bereits, die Vorbilder und Role Models, die inspirierenden Geschichten. Wir – die Medienschaffenden – müssen sie nur noch erzählen.
Die Forbes-Liste „30 under 30“ im Jahr 2023 beispielsweise portraitierte in der Kategorie „Manufacturing and Industry“ Harshita Arora, Mitbegründerin von AtoB, (San Francisco, USA) eine App für Speditionen. Das Tanken der LKW, die permanent auf langen Strecken unterwegs sind, stellt eine organisatorische Hürde dar. Die Firmen benötigen Zahlkarten, mit denen ihre Fahrer Kraftstoff kaufen können — aber nicht auch noch Snacks oder Magazine. Außerdem werden genaue Daten über Preise und die gekaufte Tankmenge benötigt. AtoB, das Arora 2019 mitbegründete, stellt eine Software zur Verfügung, die dabei hilft. Mehr als 24.000 amerikanische Speditionsunternehmen nutzten die App Ende 2023 bereits, um Kraftstoffeinkauf, Gehaltsabrechnung, Steuern und Buchhaltung zu erledigen.
So viel Klischee steckt in Stockbildern
Zurück zum Redaktionsalltag: Wer es sich zu einfach macht, zeichnet ein falsches Bild. Dem Artikel im letzten Schliff noch ein wenig Diversitätswürze verleihen? Die schnelle Lösung: Ein Stockbild für den Titel, möglichst mit einer Frau, gern mit einer dunkleren Hautfarbe, etwa gesucht mit dem Schlagwort „Ingenieurin“.
Redakteur*innen tun sich und ihren Leser*innen keinen Gefallen, wenn sie sich ausschließlich an Stockfotos aus Bilddatenbanken bedienen. Denn wieviel Klischee steckt in diesen Fotos? Die Bilder stammen durchaus von professionellen Fotograf*innen, doch sind zumeist weich belichtet, bunt und zeigen attraktive Frauen, die fürs Foto in die passende Kleidung geschlüpft sind. Von der hochqualifizierten Tätigkeit haben sie oft keine Ahnung, sie sind Models, keine echten Ingenieurinnen.
Das liebe Geld ist hier der Grund. In vielen Bilddatenbanken gibt es kostengünstig solche Stockfotos. Für Fotograf*innen ist die Produktion dieser Fotos umso lohnenswerter, je häufiger sich die Bilder aus nur einem Shooting verkaufen. Damit das gut funktioniert, versuchen sie, die Bilder so universell wie möglich zu gestalten, sodass die Fotos unabhängig von Sprachbarrieren etwa bei der Schlagwortsuche funktionieren, über Ländergrenzen hinweg und in vielen Kulturen.
Was passiert in der Bildernot? Die meisten Technikmagazine sind mit Bildern geschmückt, die gar keine Menschen zeigen, sogar das Ressort „Technologie“ des Handelsblatts. Vielleicht sollten insbesondere Technik-Redakteur*innen generell mehr Gesicht zeigen.
Das Problem ist: Spiegelt sich das Bild im Text nicht wieder, hilft das Stockfoto niemandem. Schlimmer noch ist es, wenn es nur ein Symbolbild ist. Die sind immer häufiger gesehen. „Man konnte keine Frau finden“ bleibt im Kopf, „es gibt halt keine für dieses Thema“. Doch, die gibt es: Wenn man Frauen schon um ihre Expertise für den Artikel fragt, kann man sie auch gleich nach einem Bild dafür fragen.
Wenn Fehler passieren
In diesem unglücklichen Beispiel wurde ein Stockbild genutzt, um „Fehlerkultur“ zu thematisieren. Zwar wird im Text beschrieben, dass Fehlerkultur im Team hilfreich sei, wenn sie konstruktiv genutzt wird. Doch das Titelbild ist gestellt und künstlich. Noch dazu dramatisiert es unnötig: Eine Frau, sichtlich beklemmt, und alle Finger zeigen auf sie.
Rampensau — Ja, bitte!
Frauen in Texten und Fotos präsenter machen ist ein Weg, doch dürfen wir die Bühnen und Kameras nicht außen vorlassen. In einer TV-Show, auf TikTok oder bei Podcasts usw. gibt es jede Menge Nachholbedarf. Wenn die einzige Frau in einem Tech-Talk die Moderatorin ist, kann von Chancengleichheit kaum die Rede sein. Auch hier gilt: Zeigt sie her, die Role Models! Schon Tijen Onaran, Gründerin der Beratungsfirma Global Digital Woman, Investorin und TV-Löwin, predigt immer wieder: „Wer nicht sichtbar ist, findet nicht statt.“
Daher ist es die Pflicht aller Medienschaffenden, Frauen und auch queere Personen sowie Menschen mit Behinderung und Menschen mit anderer Herkunft sichtbar zu machen. Zeigt sie auf den Bühnen der Fachmessen, lasst sie in Talkshows zu Wort kommen, filmt sie in einem Erklärvideo für TikTok oder gebt ihnen ein Mikrofon für einen Podcast! Zeigt sie, aber stellt es nicht als etwas Besonderes dar.
Mehr Sichtbarkeit gleich mehr Fairness?
Nun könnte man annehmen, eine ausgewogene Sichtbarkeit der Geschlechter würde für eine verbesserte Chancengleichheit sorgen. Doch beweist ausgerechnet die Social-Media-Welt, in der sich jede*r Sichtbarkeit verschaffen kann, dass Gesehen-werden noch lange nicht bedeutet auch Geschätzt-zu-werden.
In einer Umfrage unter 1.600 Influencer*innen aus über 40 Ländern hat die Agentur HypeAuditor herausgefunden, wie viel diese für ihre Werbeformate auf Instagram verdienen. Sie hat auch untersucht, wer eine höhere Vergütung für die Veröffentlichungen erhält: Frauen oder Männer? Den Daten von HypeAuditor zufolge gibt es weltweit 50,5 Prozent weibliche Creatoren und 49,5 Prozent männliche Creatoren, so dass es auf Instagram etwa gleich viele sind. In der Umfrage zeigte sich allerdings, dass Männer im Durchschnitt sieben Prozent mehr pro Post oder Story verdienen.
Um diese Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen: In vielen anderen Branchen hängt die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern oft damit zusammen, dass Frauen im Schnitt häufiger temporär Abstriche in ihrer Karriere machen: zugunsten von Care-Arbeit in der Familie nehmen sie eine längere Elternzeit, beim Wiedereinstieg danach Teilzeit oder auch Auszeiten für das Pflegen kranker Angehöriger. Den finanziellen Verlust dieser Phasen holen Frauen im Vergleich zu männlichen Kollegen über die gesamte Dauer ihrer Berufstätigkeit zumeist nicht mehr auf. Hier gibt es also benennbare Gründe.
Bei einem Großteil der Influencer*innen auf Instagram dürften diese Gründe jedoch weniger greifen, da sie (noch) größtenteils jünger sind und außerdem weiterhin posten und keine Pause einlegen. Hier scheint allein das Geschlecht als Grund für schlechtere Bezahlung auszureichen. Studien hierzu gibt es derzeit noch nicht.
Schon von klein auf
Wieviel Genderbias Kinder bereits haben, zeigte sich in Experimenten zum Gendern, zum Beispiel in diesem Video von „Deutschland 3000“. Das generische Maskulinum wurde bewußt genutzt, um Schulkindern von Ärzten, Ingenieuren und Feuerwehrmännern zu erzählen.
Ein ähnliches Experiment gibt es auf englisch mit den geschlechtsneutralen Wörtern surgeon, firefighter, fighter pilot, etc. Die Kinder sollten anschließend die Person aus der Geschichte zeichnen und kritzelten fast alle einen Mann. Denn Bilder entstehen im Kopf durch Sprache und durch Bilder, die sie bereits gesehen hatten – in Kinderbüchern, aber auch in Schulbüchern.
Hier zeigt sich, wenn wir an die Fachkräfte von morgen denken, müssen wir früh anfangen. In der Schulliteratur sollten auf Fotos genauso Physikerinnen zu sehen sein wie Physiker. Wir sollten genauso Männer am Herd zeigen und Frauen mit Schlagbohrer wie andersherum, denn beide Perspektiven sind richtig. Warum nur eine zeigen? Linus Giese, Transmann und Buchhändler, hat auf seiner Website eine lange Liste mit Kinderbüchern zusammengestellt, die bewusst mit traditionellen Rollenbildern brechen.
Fachwissen hat kein Geschlecht
Werden jetzt nur noch Frauen gezeigt? Oder nur noch Menschen mit erkennbarer ethnischer Diversität?
Selbstverständlich geht es nicht darum, nur Frauen nach ihrem Fachwissen zu fragen und immer nur sie auf Fotos, Titelseiten, im TV und auf Social Media in den Vordergrund zu rücken. Die journalistische Ausgewogenheit gilt in jedem einzelnen Content-Piece weiter.
Qualitätsjournalismus hat den Anspruch sorgfältig, sachlich, unparteilich, ausgewogen und unabhängig die Realität widerzuspiegeln. Gendern bedeutet, präzise zu sein und das Geschlechterverhältnis eingehend zu betrachten.
Die Entwicklung zu einer inkludierenden Medienwelt geht weiter: Sprache ist das eine Instrument. Die Bildauswahl und die richtige Person zum Thema zu befragen, sind weitere. Hinzu kommt, Diversität in den Redaktionen selbst zu schaffen und das heißt auch in den entscheidenden Positionen. Je gemischter die Teams, desto facettenreicher die Themen und die Sicht auf die Welt.
„Vorbild Spitzenfrauen“
Fotoprojekt von Silvia Steinbach
Technikjournalismus
Selina Doulah über gute Ansätze
Selina Doulah
Gastautorin
Sie studierte Technikjournalismus und stellte schnell fest, dass das Themengebiet viel zu bieten hat. Schließlich stecken hinter jeder Technologie, jeder Firma und jedem Start-Up Menschen mit Leidenschaft und Antrieb. Genau solche Menschen faszinieren Selina Doulah.
Ideen und Impulse
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