Mehr als Rollator und Rente: Altersbilder in den Medien

von | 14. August 2024 | Bildimpulse

Gymnastik im Wohnzimmer: Eine alte Frau mit einem Hula-Hup-Reifen, eine macht eine Brücke auf dem Boden, die dritte guckt zu auf einem Sitzball

Fit und beweglich, in Kopf und Körper. Altsein hat viele Facetten. Foto © Amèlie Loisier für Bildermächtig

Wenn ich an alte Menschen denke, dann habe ich meine Großeltern im Kopf. Beide Anfang 80 und mit einer komplett unterschiedlichen Lebensrealität. Mein Opa verbringt die meiste Zeit im Haus, nur auf einer Etage, da ihm das Treppenlaufen schwerfällt. Jedes Mal, wenn ich ihn besuche, sehen wir uns die Fotoalben und Diashows seiner zahlreichen Reisen um die Welt an. Heute zehrt er von diesen Erinnerungen, die ihm jetzt im Alter geblieben sind. Meine Oma dagegen ist den ganzen Tag unterwegs, geht wandern, engagiert sich im Tierheim und färbt sich immer noch ihre schulterlangen Haare blond. Wenn ich sie besuchen möchte, muss ich das mindestens eine Woche vorher ankündigen, da sie sonst bereits verplant ist.

Dieser starke Kontrast zeigt mir, wie unterschiedlich das Leben im Alter sein kann. Viele von uns Jüngeren haben Großeltern, andere leben mit altgewordenen Nachbarn unter einem Dach. Persönliche Erfahrungen mit älteren Menschen haben wir eigentlich alle. Seien es die Rollatorschiebenden, denen wir über die Straße oder aus dem Bus helfen. Oder die fitten „Junggebliebenen“, denen wir im Urlaub auf Ausflügen begegnen. Alte Menschen nehmen noch genauso am gesellschaftlichen Leben teil, wie alle anderen auch, und sie führen dieses Leben genauso unterschiedlich wie junge Leute. Unsere Vorstellung von ihnen ist trotzdem oft weniger vielseitig als die Realität, sondern vielmehr eine ausgesprochen stereotype Sicht.

Schauen wir es uns an: Wie blicken wir auf alte Menschen, welche Vorurteile stehen im Raum und gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen? Ich wollte herausfinden: Wie sehr prägen Presse und Medien unser Altersbild in der Gesellschaft?

Schwach oder agil: Gibt es im Alter wirklich nur 2 Lebenstile ?

Zwei alte Frauen haben sich auf ihre Rollatoren gesetzt und genießen den Ausblick auf ein Flusstal mit Wohnsiedlungen

Screenshot Tagesschau, 24.4.2024, Foto ©Heike Lyding, epd

Zwei schlanke, fitte, weißhaarige Alte, Mann und Frau, strecken bei der Gymnastik die Arme zur Seite. Sie lächeln.

Screenshot t-online, 13.7.2023, Foto © shapecharge, Getty Images Bilder

Schwach, kränkelnd und greisenhaft oder überzogen munter und agil – auf meiner Suche nach Bildern von alten Menschen in Presse und Medien scheint es nur diese beiden Kontraste zu geben. Diverse Lebensstile irgendwo dazwischen – sehe ich kaum. Die Ergebnisse in Bilddatenbanken bringen in erster Linie Personen mit weißen Haaren oder Nahaufnahmen faltiger Hände als eine Art Symbolbild. Oft sitzen sie auf einem Sofa, einer Bank, werden im medizinischen Kontext mit Pflegekräften oder mit Rollator abgebildet. Im Kontrast dazu stehen die übertrieben positiven Darstellungen von Seniorinnen im bunten Fitness-Outfit oder mit technischen Geräten in der Hand – und natürlich sind alle glücklich und lachen auf jedem Foto.

Redaktionen bedienen sich an eben diesen Datenbanken, wenn sie Themen wie Altersvorsorge, Versicherungen und Finanzen, Reise oder Medizin und Pflege bearbeiten. Dies sind die klassischen Themenbereiche, in denen Fotos von alten Menschen zur visuellen Untermalung genutzt werden.

Stereotype Bilder  beim Thema Rente:
Alte Menschen auf der Parkbank

Screenshot Googleergebnisse: 12 Fotos mit alten Menschen auf der Parkbank, alle von hinten fotografiert und in Medienberichten zum Thema Rente veröffentlicht

Screenshot Googleergebnis zu den Suchworten Rente und Parkbank, 28.12.2023

Dazu kommt, dass „alte Menschen, vor allem alte Frauen und sehr alte Menschen, in Magazinen, Zeitungen, TV-Serien, Werbung und Talkshows stark unterpräsentiert sind,“ meint Prof. Dr. Eva-Marie Kessler. Sie ist Psychologin und Professorin für Gerontopsychologie an der Medical School Berlin. Dies sei vor allem im Bereich Film gut belegt (sogenannte malisa-Studie zur Audivisiuellen Diversität), wo Frauen ab 40 seltener vorkämen und weniger Redeanteile hätten als ältere Männer. Auch in Politik-Talkshows im deutschen Fernsehen kommen vor allem hochaltrige Frauen praktisch nicht vor.

Corona-Narrativ: Alle Alten sind einsam und krank

Besonders deutlich wurde die stereotype Darstellung während der Corona-Pandemie. In diesem Zeitraum wurden Alte häufiger als sonst in der Presse gezeigt. Da sie als Risikogruppe galten, nutzten Medienschaffende sie oft als Symbolbilder für Beiträge zum Thema Corona.

Dies nahm Prof. Dr. Eva-Marie Kessler als Anlass für eine ganz besondere Untersuchung. Während der ersten Phase der Pandemie wollte die Psychologin herausfinden, wie die visuelle Darstellung älterer Erwachsener in den Massenmedien konkret aussieht. Für ihre Studie durchforstete sie mit ihrem Team die beliebtesten Online-Nachrichtenseiten bild.de, t-online.de, n-tv.de und spiegel.de. Die Ergebnisse veröffentlichte sie in einem Artikel für die Cambridge University Press.

Während es vor der Pandemie eine zunehmende Vielfalt in der Darstellung von alten Menschen gegeben hatte, zeigten die Medien in diesem Zeitraum ein sehr einseitiges Bild. „Ältere Menschen wurden am häufigsten als körperlich schwach, allein, professionell versorgt, passiv, zu Hause oder in einem Pflegeheim lebend und kognitiv inaktiv dargestellt“, fand das Team um Eva-Marie Kessler heraus. Die meisten Alten auf den Bildern waren Frauen.

Medienbilder von alten Menschen während der Corona-Pandemie

  • Häufigste Motive:
    Oberkörper (24,5 %), Hände (19,9 %), Rücken (19,7 %)
  • Häufigste Situationen:
    Pflegesetting (35,9 %), öffentliches Setting (16, 6 %), häusliches Setting (10,3 %)
  • Gesundheitlicher Zustand:
    körperlich schwach (54,6 %) und mittlerer körperlicher Zustand (30,8 %), starker körperlicher Zustand (3,1 %)
  • Geschlecht:
    weiblich (47,5 %); männlich (25,2 %),
    androgyn (3,8 %); ohne Angabe (23,5 %)

Quelle: The faceless and vulnerable other – the visual portrayal of older people on German online news sites within the context of the COVID-19 pandemic

Diese einseitige und homogene Bebilderung prägte das Altersbild in unserer Gesellschaft während der Corona-Pandemie. Eva-Marie Kessler kritisiert: Durch distanzierte Motive wie Hände oder Rücken wurden die alten Menschen entindividualisiert, Situationen im Pflegeheim und Darstellungen von Gebrechlichkeit und angegriffener Gesundheit zeigten Rentner und Rentnerinnen als schwache und hilfebedürftige Menschen sowie eine allgemein eher einseitige Lebensrealität.

Screenshot Der Spiegel: Alte Frau blickt traurig hinter einer Gardine zum Fenster raus

Screenshot Der Spiegel, 2.4.2020 Foto © Sinan Donmez, Getty Images

Screenshot ntv: Ein Hand mit blauem Einmalhandschuh hält die faltige Hand eines alten Menschen

Screenshot ntv, 3.5.2021 Foto © picture alliance

Diese Bilder verstärkten eine negative Sichtweise auf das Älterwerden und errichteten eine unsichtbare Mauer zwischen Jung und Alt. „Othering“ ist dabei der Fachbegriff, der beschreibt, dass bestimmte Gruppen als fremd und andersartig präsentiert werden.

Wie sieht Altsein wirklich aus?

Die Realität ist eine andere, so die Studie „Ageismus. Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland“. Im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes untersuchten Eva-Marie Kessler und Prof. Dr. Lisa-Marie Warner, Professorin für Sozialpsychologie, ebenfalls an der Medical School Berlin, wie die deutsche Bevölkerung auf alte Menschen und die Lebensphase Alter blickt. Die Ergebnisse stecken voller Überraschungen.

„Was meinen Sie, wie viele Menschen über 70 Jahren in Pflegeheimen leben?“ In der Studie schätzten die Befragten den prozentualen Anteil auf 81 %. Tatsächlich sind es gerade einmal 6 %. Die Mehrheit meinte, dass die meisten alten Menschen durch gesundheitliche Probleme im Alltag stark eingeschränkt (69 %) und einsam (66 %) seien.

Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Malteser bildete auch hier eine andere Wirklichkeit ab: Nur 22 % der über 75-Jährigen fühlen sich häufig einsam, oder zumindest hin und wieder. Diese Umfrage zeigt außerdem, dass alte Menschen durchaus noch Hobbys nachgehen, ganze 85 % stimmten hier mit ja. Von Lesen (30 %) über Spaziergehen (25 %) und richtig sportlichen Aktivitäten (16 %) bis hin zu Reisen und Kulturbesuchen (jeweils 8 %) ist alles dabei.

Wann beginnt das Altsein?

Das beurteilen junge Leute anders als alte. Viele schätzen die Rente als Beginn, doch der Renteneintritt schiebt sich weiter zum 67. Geburtstag hin. Ältere Menschen sind heute im Schnitt gesünder und fitter, kleiden sich jugendlich und wirken länger jung. Eine aktuelle Studie mit 14.000 Teilnehmenden ergab, dass die meisten das höhere Alter auf 75 Jahre schätzen. Frauen setzen das Altsein zweieinhalb Jahre später an als Männer. Ab 80 beginnt, biologisch gesehen, das Greisenalter. Ab 85 werden alte Menschen als „hochaltrig“ oder „betagt“ bezeichnet.

Straßenszene: Ein alter Mann läuft mit einem Rollator. Neben ihm eine alte Frau ebenfalls mit Rollator.

Screenshot Merkur, 5.8.2024, Foto © Patrick Pleul, dpa

Ein Bild passt, das andere nicht: Der Mann und die Frau mit den Rollatoren sind deutlich älter als 63. Die Frau am Laptop dagegen könnte eine potentielle Frührentnerin sein.

Eine grauhaarige jugendliche wirkende Frau sitzt vor einem Laptop. Geschätzt Anfang 60.

Screenshot Handelsblatt, 5.8.2024, Foto © IMAGO, Shotshop

Was ist visueller Ageismus?

„Diese stereotype Fehldarstellung älterer Erwachsener kann als visueller Ageismus interpretiert werden, der durch ihr visuelles Othering noch verstärkt wird“, bringen es die Professorinnen Kessler und Wagner in ihrer Studie auf den Punkt. Ageismus definieren sie als die ungleiche Behandlung und Diskriminierung älterer Menschen auf Basis eines überholten Altersbildes.

Die WHO (World Health Organization) befasst sich in ihrem „Global Report on Ageism“ mit eben diesem Phänomen und weist auf die zahlreichen Probleme hin, die damit einhergehen.

Von der Einschränkung im Sexualleben über schlechtere Gesundheit bis hin zu einer kürzeren Lebenserwartung ist alles dabei. Natürlich ist auch die Lebensqualität eine andere, wenn jemand ab einem bestimmten Alter konsequent von der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die WHO spricht außerdem von einem erhöhten Risiko von Gewalt und Missbrauch gegenüber älteren Menschen, die mit Ageismus einhergeht. Fakt ist: Altersdiskriminierung kostet die Gesellschaft Milliarden – schließlich müssen all die negativen Folgen irgendwie ausgeglichen werden.

Wie alte Menschen besser dargestellt werden

„Texte und Bilder können in entscheidender Weise dazu beitragen, das Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf Alter(n) und ältere Menschen positiv zu beeinflussen und damit Ageismus abzubauen und zu einer altersinklusiveren Gesellschaft beizutragen“, klärt Eva-Marie Kessler auf. Denn Medien aller Art – von Online-Nachrichtenportalen über Projektbroschüren bis hin zu Social Media – haben eine wichtige Verantwortung. Medienschaffende können und müssen aktiv zu einer inklusiveren Gesellschaft beitragen, indem sie Wort und Bild bewusster auswählen und auf Stereotype verzichten.

Mit einem Kommunikationsleitfaden, veröffentlicht vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bietet Prof. Eva-Marie Kessler Alternativen zu eben diesen Stereotypen. Anhand von konkreten Fallbeispielen zeigt sie, wie es besser geht. In Großbritannien gibt es ein ähnliches Projekt: „Age without Limits“. Es bietet in seiner age-positive image library mehr als 3000 kostenlose Bilder zur freien Verwendung.

4 Strategien gegen stereotype Altersbilder

1. Selbstbestimmt

Ein Foto vermittelt eine optimistischere Atmosphäre, wenn es Individualität, Selbstbestimmung, soziale Eingebundenheit und Kompetenz widerspiegelt.

Screenshot ntv: Ein Hand mit blauem Einmalhandschuh hält die faltige Hand eines alten Menschen

Engagiert im Gemeindezentrum © Centre for Ageing Better

2. Möglichst aktiv

Realistische Darstellungen von älteren Menschen in Aktion laden dazu ein, sich mit ihnen zu identifizieren. Sie befördern das Empowerment älterer Menschen.

Zwei ältere Leute rennen über einen Strand, mit Pullovern bekleidet. Die Frau vorneweg, sie hält den Mann an der Hand

Spaß beim Ausflug © Wavebreak Media Micro, AdobeStock

3. Divers

Enkelkinder oder keine, Migrationshintergrund, lesbisch oder schwul, pflegebedürftig oder topfit, usw.: Alte Menschen sind genauso divers wie junge Leute.

Screenshot ntv: Ein Hand mit blauem Einmalhandschuh hält die faltige Hand eines alten Menschen

Schwules Paar am Laptop © Centre for Ageing Better

4. Selbst zu Wort kommen lassen

Älteren und alten Menschen eine Stimme zu geben, bringt neue Gesichtspunkte in den öffentlichen Diskurs.

Screenshot ntv: Ein Hand mit blauem Einmalhandschuh hält die faltige Hand eines alten Menschen

Interview in der taz, Screenshot 1.7.2023 © Stefanie Loos

Rethinking die Lebensphase Alter

Also: Keine Ausreden mehr! Das Leben alter Menschen kann eingeschränkt sein, muss es aber nicht. Und so sollten Bilder in Presse und Medien auch die verschiedenen Lebensrealitäten abbilden.

Besonders alte Frauen müssen realistischer gezeigt werden. Sie sind entgegen vieler Vorurteile oft selbstständig und viele von ihnen meistern den Alltag allein – wie meine Oma. Das Bildermächtig-Fotoprojekt „Alte Frauen“ macht vor, wie Fotos von Seniorinnen aussehen können.

Eine alte Frau mit einem Akkuschrauber und zwei Freundinnen bereiten eine Lampenmontage vor
Alte Frau montiert eine Wandlampe

Bildermächtig-Fotoprojekt „Alte Frauen“, © Amèlie Loisier

Zeigen Sie, wo es passt, alte Menschen wie meinen Opa, der sein Haus kaum noch verlässt. Sie sollten aber auch fitte Leute wie meine Oma und ihre Wandergruppen vorstellen. Es ist gut, wenn die Medien ein realistisches Bild vom Alter(n) präsentieren. Das hilft der Gesellschaft, gegen Ageimus vorzugehen.

Portrait Sophia Schmoldt

© Warja Jones

Sophia Schmoldt

Gastautorin

Als Kind wollte sie Autorin werden, heute schreibt Sophia Schmoldt als Journalistin und Copywriterin für Magazine, Blogs und Social Media. Ihre Lieblingsthemen sind die Medienwelt, Nachhaltigkeit und Feminismus. Mit ihren Texten möchte sie anderen eine Stimme geben, über Ungerechtigkeit aufklären und inspirierende Geschichten erzählen.

Vorsicht: schrille Bilder

Zu Beginn der Stockfotografie gab es viele Bilder von exzentrischen Senior*innen in grell-bunter Kleidung mit übergroßen Sonnenbrillen. Das wirft ein falsches Licht auf alte Menschen. Sie können sich mit solchen Fotos nicht identifizieren. Mittlerweile wird das Angebot in den Bildagenturen realistischer: Die Symbolbilder zum Thema Altsein sind vielfältiger, die Auswahl ist größer, allerdings bisher vor allem im hochpreisigen Segment.

Tipp für die Bildersuche: Beim höflich gemeinten Schlagwort „ältere Frauen“ erscheinen Bilder mit Frauen ab 35. Bessere Suchergebnisse bringt das Schlagwort „Seniorin“.

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