Die Redaktionen hinter den Bildern und ihre Maximen

von | 22. September 2024 | Bildimpulse

Zeitungsständer an einem Kiosk, dazwischen erkennbar läuft eine Frau mit einem Kinderwagen

Bilder, Bilder, Bilder: Im Journalismus ist der Bilderhunger gewaltig. Foto ©Martin Gerten, Picture Alliance, dpa

Vom Magazinartikel über Podcasts bis hin zur aktuellen Online-Nachrichtenmeldung – für alle Medien, Print wie Online – müssen Bilder ausgewählt werden. Denken Redaktionen dabei über die Geschlechterdarstellung nach? Ich habe nachgefragt.

Männerüberschuß

Wer mit aufmerksamem Blick die Nachrichtenlage verfolgt, findet diese Beispiele noch immer: Das Bild aus der Polit-Talkrunde, bei dem ausschließlich der einzig männliche Talk-Gast in der Runde auf dem Artikel-Bild klar und zentral präsentiert wird. Oder jene Tage, an denen im Sportteil exklusiv Männer auf Bildern zu finden sind, teilweise sogar nur männliche Fußballer, als gäbe es im Sport nichts anderes zu berichten.

In einer Talkshow sitzen an einem Tisch vier Frauen und ein Mann. Er ist in der Bildmitte deutlich zu sehen.

Screenshot SZ, 13.9.2024, Foto © Jule Roehr, ZDF

Screenshot des Sportteils von WAZ online: Viele Bilder mit Männer, die Sport machen

Screenshot Onlineausgabe der Sport News bei WAZ.de, 22.9.2024

Fairerweise muss ich zum Bericht der Süddeutschen Zeitung erwähnen, dass ausnahmsweise nur ein männlicher Gast da war, und genau das wird in dem Artikel thematisiert. (Manche haben sich bei X darüber nämlich beschwert: Fünf Frauen und nur ein Mann; wobei es umgekehrt kaum Beschwerden gibt, wenn mal nur eine Frau in einer Talk-Runde sitzt).

Die Macht des Bildes

Die Bildauswahl in Redaktionen ist im wahrsten Sinne des Wortes mächtig: Sie entscheidet, wer zu sehen und damit in der medialen Öffentlichkeit überhaupt präsent ist. Wer nicht stattfindet, hat in der Gesellschaft keine Bedeutung. Darüber hinaus beeinflusst auch die Bild-Inszenierung, wie wir über die abgebildeten Personen denken. Werden Frauen beispielsweise immer nur kleiner, unscharf oder in stereotypen Rollen gezeigt, kann das eine patriarchale Gesellschaftsordnung weiter festschreiben. Bildauswahl ist also eine Machtfrage, das heißt: Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die von Journalist*innen jeden Tag übernommen wird.

Nachgefragt: verantwortungsvoller Umgang mit der Bildauswahl?

Wie bewusst sich Redaktionen dieser Verantwortung sind, wollte ich von zwei Redaktionsteams wissen: Von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), die drei Ausspielwege hat (Zeitung, Online, ein Magazin). Und von der Redaktion hinter den Startseiten von gmx.de und web.de. Deren Ziel ist zwar nicht primär Nachrichtenübermittlung. Trotzdem erreicht die Redaktion mit ihren News täglich Millionen von Menschen, zählen die beiden Seiten doch zu den meistbesuchten Websites in Deutschland.

Bildredaktionelle Arbeit bei der WAZ

Bei der WAZ arbeiten täglich zwei Mitarbeiter*innen in der Bildredaktion. Quellen für die Bilder sind primär eigene Fotos von Fotograf*innen, vor allem wenn die Geschichten in der Region spielen, so die Auskunft der WAZ-Fotoredaktion. Es werden aber auch Bilder von Agenturen und Stock-Fotos genutzt.

Generell sollen bei der WAZ Menschen im Vordergrund der Bilder stehen. Im Online-Bereich der Lokalzeitung stellen die Bildredakteur*innen eine Bildauswahl für die Themen bereit. Wer den Artikel schreibt, wählt aus diesen Bildern dann selbst ein passendes aus.

Dabei soll Diversität eine Rolle spielen, sagt die Fotoredaktion, macht aber auch klar: „Dadurch, dass wir als Dienstleister*innen fungieren, können wir lediglich an die Redaktionen Empfehlungen aussprechen, was die Diversität und die Geschlechtergerechtigkeit angeht.“ Diversität werde aber in allen WAZ-Redaktionen gelebt.

Fundstücke

Auf der Internetseite der WAZ habe ich positive Beispiele gefunden: Zum Beispiel die Kinobetreiberin Nina Serbig, die mit ihrem Kollegen Serbay Demir gemeinsam abgebildet wird. Sie ist darauf sogar deutlich größer zu sehen als er.

In einem Kinosaal mit roten Sesseln: Ein Mann sitzt, eine Frau steht. Sie hält eine Kinorolle in der Hand.

Screenshot WAZ, 2.9.2024, Foto ©Svenja Funke Services

Schattenriss?: links eine Frau mit Pferdschwanz, die auf eine digitale Präsentation zeigt; rechts ein Mann, der unter einer Hebebühne an einem Auto schraubt

Screenshot WAZ, 20.8.2024, Fotomontage mit Fotos von ©Tobias Kleinschmidt, dpa /David-Wolfgang Ebener, dpa

Bei dem Thema „Deutschlands beste Arbeitgeber: Das sind Dortmunds Top 8“ wird auf Symbolbilder zurückgegriffen. Hier sehen wir die Silhouette einer weiblich gelesenen Person in einem Setting, das eine Präsentation suggeriert. Und die einer männlich gelesenen Person, die an einem Auto schraubt. Auch wenn die Bereiche, in denen die zwei vorgeblich jeweils arbeiten, definitiv klischeehaft sind – die weiblich gelesene Person erscheint größer und führungsstärker, ist hier also in einer hervorgehobeneren Position.

Gleichzeitig habe ich im September an mehreren Tagen im WAZ-Online-Sportteil ausschließlich männliche Fußballer oder Symbolbilder sehen. Einzige Ausnahme: ein Artikel ganz unten auf der Übersichtsseite zu einer Podcastaufzeichnung mit einer Moderatorin.

Überblick Sportteil: 9 kleinere Bilder mit Männern, die Sport machen, vor allem Fußball oder darüber reden

Screenshot WAZ, 22.9.2024, Draufsicht „Sport Online“

Zielvorgabe Vielfalt bei gmx.de: wird sie erreicht?

Die gmx/web.de-Redaktion sagt über sich, dass Geschlechtersensibilität eine Rolle spielt. Auch hier gibt es eine Bildredaktion mit drei Redakteur*innen. Allerdings ist der Ablauf etwas anders als bei der WAZ: Diejenigen, die die Artikel schreiben, liefern Bildvorschläge mit, die dann zunächst von der Schlussredaktion bzw. der Ressortleitung bewertet werden. Am Ende entscheiden Chef oder Chefin vom Dienst gemeinsam mit der Bildredaktion.

Die primäre Quelle für Bilder sind Nachrichtenagenturen, bei exklusiven Interviews werden auch Fotograf*innen für die Porträtaufnahmen beauftragt. Selten kommen laut Redaktion Stock-Fotos zum Einsatz.

Um eine geschlechtersensible Darstellung in Text und Bild zu erreichen, führt die Redaktion regelmäßig Schulungen durch. Das Ziel ist dabei, die vielfältige Gesellschaft abzubilden: „Konkret bedeutet das etwa die Vermeidung geschlechtsbezogener Rollenklischees in der Bildsprache, Body Neutrality (wir legen Wert auf Diversität und verzichten auf stereotype Schönheitsideale) und die Darstellung von ethnischer, kultureller, religiöser Vielfalt. Für den Bereich der Inklusion gilt zusätzlich: Auch ältere Personen und Menschen mit Behinderungen sollen sichtbar sein“, antwortet die Redaktion per Mail auf meine Anfrage.

Fundstücke

Im GMX-Online-Portal habe ich das Foto  einer aktiven Sportlerin gefunden, in einem Artikel über die norwegische Skifahrerin Maria Therese Tviberg. Ein Bild, das in der Sportberichterstattung sonst kaum vorkommt, wie in diesem Blog schon analysiert wurde.

Skifahrerin beim Slalom

Screenshot gmx.de, 12.9.2024 Foto © Lise Åserud, Imago/NTB

Zu einem Artikel über den Ausbildungsbericht der DGB-Jugend gab es dann allerdings ein Bild mit männlichen Handwerkern, die in einer Werkstatt arbeiten. Es ist nicht mehr online, aber so sah es aus: Einer werkelt prominent im Vordergrund, die anderen kleiner und unscharf im Hintergrund. Ein einzelnes Bild, auf dem nur männliche Handwerker zu sehen sind, ist zwar noch kein Beweis für Sexismus. Aber es bedient das Klischee „Nur Männer sind im Handwerk, in der Technik unterwegs“.

Dabei gibt es längst zahllose Beispiele, wie erfolgreich Frauen in Handwerk und in technischen Berufen arbeiten. Auch hierüber differenzierter zu berichten, wurde schon in diesem Blog gefordert.

Die Sensibilität für Geschlecht schärfen: Eine Aufgabe für jeden Tag

Das Thema Geschlechtersensibilität ist in den Redaktionen also ein Thema und im Bewusstsein der Redaktionsteams größtenteils angekommen. Was sich aber zeigt: Wenn sich nur einige wenige Teammitglieder darüber Gedanken machen, reicht das nicht. Es muss ein Thema sein, das jeden Tag aufs Neue im gesamten Team reflektiert wird, damit stereotype Bilder und vereinfachte Darstellungen nicht nur weniger werden, sondern vielleicht irgendwann ganz aus dem Journalismus verschwinden werden.

Portrait Katja Vossenberg

© privat

Katja Vossenberg

Gastautorin

Sie arbeitet als freie Journalistin bei Deutschlandfunk Nova, WDR 5 und im WDR Newsroom. Katja Vossenberg hat einen Leitfaden für geschlechtersensiblen Journalismus entwickelt und gibt Seminare dazu, unter anderem an Universitäten und in Rundfunkanstalten.

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