Lookismus: Welche Frau mit Behinderung wird abgebildet?

von | 6. September 2024 | Bildimpulse

Junge Frau sitzt um Rollstuhl, um sie herum vier Leute, eine davon ist eine Frau, die anscheinend einen Hijab trägt

Am besten mittendrin. Symbolbild mit unbekanntem Model aus der Bilddatenbank.
Foto ©Benis Arapovic, Zonar/Picture Alliance

Wie sehen behinderte Frauen aus, die in den Medien abgebildet werden? Meist schlank, weiß und normschön. Es werden auch nur bestimmte Behinderungen gezeigt. Die fehlende Repräsentation macht etwas mit der Selbstwahrnehmung behinderter Frauen, wie Carolin Treml bestätigt: „Als junge Frau mit einer körperlichen Behinderung, die auf einen E-Rollstuhl angewiesen ist und deren Körperbau stark von der Norm abweicht, ist es nicht immer einfach, sich selbstbewusst und schön zu fühlen. Aber nur weil ich eine Behinderung habe, bin ich nicht weniger attraktiv, sexy oder cool.“

Carolin Treml ist Grafikdesignerin. Sie erlebt diese Zurückweisung aufgrund ihres Aussehens regelmäßig, beispielsweise im Job und beim Dating: „Meine Weiblichkeit bzw. Sexualität werden mir aberkannt oder schlichtweg ignoriert, nur weil ich sehr klein und zierlich bin. Aber auch im Berufsleben wird stets davon ausgegangen, dass ich weniger leistungsfähig oder kompetent bin als Personen ohne Behinderung.“

Die Diskriminierungsform dahinter nennt sich Lookismus und wird im deutschsprachigen Raum bisher wenig diskutiert. Die Fachstelle für Gender und Diversität in Nordrhein-Westfalen, FUMA, bringt die Definition auf den Punkt:

Was ist Lookismus?

Lookismus bezeichnet die Diskriminierung von Personen deren Körper von gesellschaftlich gesetzten Normen abweichen. Bei diesen Normen handelt es sich um vielfältige Körper- und Schönheitsnormen, die z.B. suggerieren, dass Normkörper, gesund, schön und leistungsfähig seien und zu sein haben. Ein Beispiel für Lookismus ist die Abwertung von Menschen mit hohem Körpergewicht und die Zuschreibung von Attributen wie undiszipliniert oder unsportlich, allein aufgrund des Körpergewichts.

Behinderte Frauen sind hier aufgrund von Mehrfachdiskriminierung und je nach Behinderungsform verschieden betroffen. Der Körper einer sichtbar behinderten Frau entspricht den gängigen Schönheitsnormen meistens nicht. Er wird abgewertet und als weniger attraktiv bewertet. Noch schwerwiegender fällt die Diskriminierung aus, wenn eine sichtbar behinderte Frau mehrgewichtig ist oder sehr dünn, oder wenn sie eine Person of Color ist. Mehrfachdiskriminierung trifft Frauen mit Behinderungen besonders schwer

In den Medien brauchen wir positive Bilder von Menschen mit Behinderungen

Wie also können deutsche Medien besser mit der Bebilderung von behinderten Frauen umgehen? Mehr positive, selbstverständliche Bilder wären das Ziel.

Gruppenbild vor einer blauen Wand. Frei Frauen und zwei Männer sitzen auf einer Bank, eine Frau links sitzt im Rollstuhl. Alle schauen lächelnd in die Kamera.

Eine von uns

Aus unserem Fotoprojekt „Neue Bilder“, fotografiert von Julia Baier.

Eine junge Frau und zwei Männer sitzen an einem Tisch, ein Frau steht vor einem Flip Chart, hört der jungen Frau zu.

Für das Shooting von Gruppensituationen im Büro haben wir auf den „Model-Mix“ geachtet. Wichtig war uns, auch eine Frau im Rollstuhl dafür zu engagieren, als eine der Mitarbeitenden im inszenierten Team.

Models mit Behinderungen suchen und finden

Ursprünglich gründete Del Keens seine Modelagentur „Misfit Models“ vor 12 Jahren, um selbst als nicht normschönes Model Arbeit zu finden. Inzwischen repräsentieren ungefähr 600 Models die Agentur, darunter auch viele mit einer sichtbaren Behinderung. Wie viele es sind, zählt Keens nicht. Die behinderten Models sind mehrgewichtig bis schlank, sie haben die unterschiedlichsten Körpergrößen, Ethnien und Behinderungen.

„Schönheit verkauft sich“, stellt Keens allerdings ernüchtert auch bei Anfragen von behinderten Models fest. Eine normschöne junge Frau, die einen Rollstuhl nutzt, bekommt besonders viele Aufträge. „Ich kann es nicht ändern, weil die Werbeabteilungen meiner Klientinnen, große Unternehmen wie beispielsweise Volkswagen oder Deutsche Bahn, entscheiden, welche behinderten Models sie wählen.“ Keens weist seine Models bei Vertragsabschluss mit seiner Agentur darauf hin, dass er keinen Einfluss darauf hat, wie viele Anfragen sie bekommen werden.

„Manche Frauen bewerben sich erst gar nicht für Fotoshootings, weil ihnen ihr ganzes Leben lang das Gefühl vermittelt wurde, dass sie nicht schön genug sind, um überhaupt fotografiert zu werden,“ berichtet der Fotograf Andi Weiland. Er hält das für verinnerlichten Ableismus. Weiland arbeitet für das Fotoprojekt „Gesellschaftsbilder“ und kennt die Schwierigkeiten. Beispielsweise fragt er sich oft, wie eine Ausschreibung für die Modelsuche formuliert werden soll, ohne dass die gewählte Beschreibung von nicht normschönen Models als Herabsetzung empfunden werden kann.

Hör- und Lesetipp

Screenshot BR-Podcast mit einem Foto einer jungen Schaupielerin auf einer Bühne. Sie hat das Down Syndrom.

Screenshot BR - Ankündigung des Podcasts „Die Neue Norm“ auf BR2
Foto © Bilddatenbank Gesellschaftsbilder

Eine Möglichkeit sieht Weiland bei der Modeldatenbank von Gesellschaftsbilder, wo behinderte Menschen ihre Bereitschaft für Fotoshootings kundtun können. Viele behinderte Models stehen Fotoshootings skeptisch gegenüber, weil sie nicht wissen, in welchen Zusammenhängen die Fotos später verwendet werden. Gerade bei nicht normschönen Personen steigt das Risiko umso mehr, dass Fotos in diskriminierender Weise verwendet werden.

Warum werden nur normschöne behinderte Frauen abgebildet?

Keens Erfahrungen zeigen: Das Schönheitsbild von behinderten Frauen reproduziert sich durch Stereotype und Klischees bei den Anfragen von selbst, obwohl auch das Angebot vorhanden ist, behinderte Frauen mit nicht normschönen Körpern abzubilden. „Die Menschen wollen jemanden sehen, mit dem sie sich identifizieren können“, erklärt der Agenturinhaber. „Jemand, der nicht hässlich ist und der sie kein Mitleid empfinden lässt. Die Menschen wollen behinderte Frauen nicht sehen, weil sie nicht mit ihrer eigenen Vergänglichkeit konfrontiert werden wollen. Dass sie selbst eines Tages eine Behinderung erwerben könnten.“ Kurz: Ableismus.

Menschen mit Behinderungen fehlen in den Bilddatenbanken

Bei einem Praktikum fiel der Fotografin Anna Spindelndreier die miserable Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den Bilddatenbanken auf: Sie haben wenig Vielfalt in ihrem Fotoangebot. Sie fühlt sich als Kleinwüchsige gar nicht repräsentiert. „Behinderte Frauen werden nur dargestellt, wenn sie eine normschöne Rollstuhlfahrerin sind“, stellt Spindelndreier fest. „Mir fehlt die Darstellung der Vielfalt von Menschen mit Behinderung. Schaue ich auf meinen Instagram-Algorithmus, dann sieht das schon wieder anders aus.“ Da erlebt sie unter Menschen mit Behinderungen eine deutlichere Vielfalt als in den Mainstream-Medien.

Screenshot mit Foto von Laura Gehlhaar. Sie sitzt im Rollstuhl vor einer Mauer mit Graffiti.

Screenshot Die Welt, 12.9.2016
Foto ©Andi Weiland

Screenshot mit Portraitfoto von Ninia LaGrande. Sie hat lange blonde Haare, Brille und trägt roten Lippenstift zu einem rot-pinken Pullover

Screenshot Süddeutsche Zeitung, 15.11.2019
Foto © Simona Bednarek

Die kleinwüchsige Moderatorin Ninia LaGrande ist eine der wenigen, die öfter in diesen Medien auftaucht. Mehrfachbehinderte Frauen und viele, die nicht normschön sind, werden gar nicht erst gezeigt.

Was muss sich ändern?

Del Keens Vision von Misfit Models ist, die Vielfalt der Gesellschaft in ihrer ganzen Breite abzubilden. Er will das stereotype Bild aufbrechen, wer Model sein kann und wer nicht. Allerdings begrenzen die stereotypen Anfragen an seine Agentur seine Möglichkeiten, in den Prozess einzugreifen. Normalerweise werden behinderte Models nur für Aufklärungskampagnen zu Behinderung von Ministerien angefragt.

Nicht nur als Opfer und Held*innen portraitieren

In den Lokalmedien gibt es gelegentlich Berichte über Menschen mit Behinderungen. Allerdings nur, wenn Diskriminierung das Thema ist. Sie werden als Opfer von Schlechtbehandlung, Benachteiligung und Ausgrenzung dargestellt. Das andere Extrem sind Heldengeschichten.

Ein alltägliches, positives Bild vom Leben mit einer Behinderung entsteht bei nichtbehinderten Leser*innen so nicht. Das schafft auch keine Repräsentation und Selbstbestimmung für Frauen mit Behinderungen.

Eine ältere Frau steht vor ihrer Haustür, sie trägt Sonnenbrille, hält einen Blindenstock an der einen Hand und an der anderen ihren Blindenhund

Screenshot Schwäbische Zeitung, 6.6.2019
Foto ©Peter Schlipf

Screenshot mit Foto: Junge Frau im Rollstuhl in einem Einkaufszentrum. Sie schaut traurig aus.

Screenshot OP-Online, 19.5.2024
Foto ©Rolf Oeser

Umdenken in den Medien: Bessere Bilder schaffen

Andi Weiland wünscht eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung und Debatte, wie Menschen abgebildet werden, und wer ignoriert wird. „Wir müssen lernen die Bildsprache lesen zu können. Das heißt, Bilder aufzunehmen, sie zu deuten, zu interpretieren, kritisch zu hinterfragen und dann auch zu schauen, was es für Alternativen geben kann.“ Diese Sensibilität schafft die Grundlage, in Zukunft Debatten um das Elterngeld auch mit einem Foto einer behinderten Mutter zu bebildern, wenn es nicht um ihre Diskriminierung geht.

Dazu gehört auch, behinderte Menschen als Zielgruppe für die eigenen Inhalte wahrzunehmen. „Häufig sind Bilder von Frauen mit Behinderung sehr stark auf das Thema Pflege und Krankheit fokussiert. Dinge wie Mode, Beauty oder Lifestyle spielen überhaupt keine Rolle, weil davon ausgegangen wird, dass diese Zielgruppe ohnehin keinen Wert auf diese Dinge legt“, hat Carolin Treml festgestellt.

Deutsche Medien können sich hier die britische Zeitschrift „GLAMOUR“ als Vorbild nehmen. Alle behinderten Körper, ob normschön oder nicht, werden gezeigt. Stylisch. Frisch und modern.

Screenshot Modemagazin Glamour: Drei modisch gekleidete Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen

Screenshot GLAMOUR, 22.2.2023
Foto © Aaron Phlip / Thesineadburke / Aprillockhart

Ein weiteres Vorbild für vielfältige Repräsentation von behinderten Frauen ist das Modelabel „Auf Augenhöhe“ für kleinwüchsige Menschen. Anna Spindelndreier, die die Fotos für das Label produziert, sagt dazu: „Als wir mit Auf Augenhöhe angefangen haben, gab es da auch nur den schlanken, durchtrainierten kleinwüchsigen Körper. Das ist uns aufgefallen und wir haben versucht, vielfältige kleinwüchsige Models zu finden. Einfach war das nicht. Das mehrgewichtige kleinwüchsige Model zum Beispiel ist extra aus Dänemark angereist.“

Behinderte Frauen als Zielgruppe wahrnehmen

Die deutsche Medienlandschaft muss sich bewusstwerden, dass behinderte Frauen wie Treml auch Konsument*innen von Medien sind und dementsprechend zu recht einfordern, in diesen gleichermaßen repräsentiert zu werden. Dazu müssen keine behinderten Models eingeflogen werden. Vielmehr braucht es eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für behinderte Models in Agenturen wie Misfit Models, Sensibilisierung für eine klischeefreie Darstellung behinderter Frauen in den Medienhäusern und nicht zuletzt den Willen, Projekte wie Gesellschaftsbilder zu unterstützen.

Deutsche Medienhäuser müssen sich eingestehen: Behinderte Frauen sind auch ihre Zielgruppe und sie haben den Auftrag, sie also solche wahrzunehmen. Dies ist der erste Schritt auf dem Weg, ein Publikum wie Carolin Treml zu erreichen.

Kleinwüchsige Frau mit dunklen Haaren und Brille sitzt auf ihrem Laufrad und hält eine Fotokamera in den Händen.

© Kurt Steinhausen

Andrea Schöne

Gastautorin

wollte Behinderung eigentlich nie zu ihrem beruflichen Schwerpunkt machen. Die Journalistin und Moderatorin gibt dennoch Workshops zur klischeefreien Berichterstattung über behinderte Menschen. Als Stipendiatin des Media Lab Bayern recherchierte sie 2021, wie Podcasts für Menschen mit Hörbehinderung zugänglicher werden können. Ihr geballtes Wissen verewigte Andrea Schöne 2022 in ihrem Buch „Behinderung und Ableismus“.

Bildsprache Behinderung

Tipps für bessere Bilder

Leitfaden

Barrierefrei gendern

Behinderung in Zahlen

9,4 Prozent der Menschen in Deutschland haben eine schwere Behinderung. Das sind 7,8 Millionen mit einem anerkannten Behinderungsgrad von 50 Prozent. So viel zählte das Statistische Bundesamt 2021.
Etwa 3 Prozent der schweren Behinderungen sind angeboren oder treten im ersten Lebensjahr auf. 90 Prozent werden durch Krankheit verursacht, nur 1 Prozent durch einen Unfall.

Ideen und Impulse

Bei Genderleicht & Bildermächtig finden Sie Argumente und Fakten sowie Tipps und Tools für die gendersensible Medienarbeit.

Newsletter

Was gibt es Neues beim Gendern? Was tut sich bei Bildermächtig? Wir halten Sie auf dem Laufenden, immer zur Mitte des Monats.

Willkommen

bei Genderleicht & Bildermächtig vom Journalistinnenbund e.V.: Impulse zu einer gendersensiblen Arbeitsweise für alle Medienschaffende

Blogthemen

Knifflige Fragen zum Gendern? Antworten gibt unser Textlabor

Gezeichnete Glaskolben wie aus einem Chemielabor weisen auf das Serviceangebot des Textlabors hin: Hier bespricht das Team Genderleicht knifflige Textfragen.

… oder dieses Buch

Buchcover Genderleicht