Bildsprache bei Zeitschrift „test“: Stereotype vermeiden!

von | 21. August 2024 | Bildimpulse

Ein Mann rennt mit einem Flamingo-Schwimmreifen durchs Flachwasser eines Sees. Die Sonne strahlt.

Sommerspaß am See. Ungewöhnliche Bildwahl zum Thema Sonnenschutz. Aber sie funktioniert!
Foto © Ekaterina Yakunia, Westend61

Sonnencreme, Barttrimmer, Kinderwagen – Die Themen von test und test.de sind so vielfältig, wie die Produkte des täglichen Lebens, die Stiftung Warentest unter die Lupe nimmt. Die Herausforderung: Jeder Produkttest muss bebildert werden, mit Menschen, die sich gerade den Bart trimmen oder den Kinderwagen schieben. Im gedruckten Heft, im Online-Auftritt, in Social Media. Den immensen Bildbedarf bearbeitet die Bildredaktion mit zwei Frauen und einem Mann. Ob und wie sie dabei auf Geschlechtermischung und Diversität achten, fragte ich die Bildredakteurin Laura Schierholz und den stellvertretenden Chefredakteur Werner Hinzpeter. Ein Gespräch über eine Bildsprache mit Anspruch.

So arbeitet die Bildredaktion

Medien sollten die Vielfalt der Gesellschaft abbilden, alle erdenklichen Menschentypen zeigen und nicht sexistisch sein.

Was tut die Redaktion von test und test.de dafür?

Werner Hinzpeter
Vor ein paar Jahren sprach mich ein freier Autor an, nachdem er sein Belegexemplar durchgeblättert hatte: „In diesem Heft sind nur weiße Menschen. Das bildet uns nicht ab“, hat er zu mir gesagt. Da bin ich erschrocken, obwohl ich das eigentlich selbst schon gesehen hatte. Das hat für mich den Schalter umgelegt. Unser Stiftungsauftrag ist, alle Menschen zu erreichen. Wir haben das in der Chefredaktion und mit der Bildredaktion besprochen. Seither bauen wir es ein: Wir achten auf Gerechtigkeit in unseren Texten, mit einer gemäßigt geschlechtergerechten Sprache. Und genauso achten wir auf die Bilder. Wenn wir das Heft mischen, wollen wir eine gewisse Diversität drin haben. Aber weil wir relativ viel mit Stockfotos arbeiten, haben wir ein Problem: Die Agenturen erhalten die meisten Bilder aus den USA und aus Großbritannien. Da ist der Bevölkerungsanteil von Schwarzen viel höher. Wir haben in Deutschland einen anderen Mix.

Laura Schierholz
In Deutschland haben wir eine große arabische und türkeistämmige Community. Diese Menschen kommen fast nicht in den Bildarchiven vor. Auch bei unseren Medienprodukten haben wir viel zu wenig Bilder mit ihnen, im Vergleich dazu, dass es bei uns in Deutschland eine so große Community gibt. Wir sind im engen Kontakt mit den Agenturen. Und da merken wir immer mal wieder an, dass das unser größtes Problem ist. Unser Vorteil ist: Wir können selber Fotoproduktionen beauftragen und dabei auf Vielfalt achten.

Eigene Fotoproduktionen? Das klingt luxuriös. Wo doch viele Medienhäuser ihre Redaktionen zum Einsatz von möglichst kostenfreien Fotos anhalten.

Werner Hinzpeter
Wir müssen die getesteten Produkte ins Bild setzen. Bei diesen Shootings können wir gut gegensteuern. Ich freue mich, wenn wir dann als Aufmacher ein Foto mit einem dunkelhaarigen, arabischstämmigen Mann haben, der ein Glas Mineralwasser in der Hand hält. Sonst sehen wir doch immer nur den Blonden, der am Deich steht, mit dem Bier in der Hand. Wir können in der Vorbereitung die Models auswählen und auch auf die Geschlechtermischung achten. Dann haben wir eben einen Mann, der einen Kinderwagen schiebt. Das sind nur Kleinigkeiten, aber wir nutzen die Chancen, die sich durch die Shootings bieten. Von den Bildagenturen kriegen wir solche Fotos nur begrenzt.

Laura Schierholz
Wir arbeiten meistens mit Laienmodels und sprechen auch mal Leute auf der Straße an, oder wir suchen im Freundeskreis. Bei einer Fotoproduktion für Kinderspielzeug haben wir dann aber in einer Agentur gefragt. Da konnten wir nach Hautfarbe und Geschlecht auswählen. Es ist dann ein dunkelhäutiges Mädchen geworden, weil auch Mädchen mit Lust auf eine Klopfbank einhämmern können und nicht nur Jungs.

Screenshot mit Foto: etwa dreijähriges Mädchen hammert auf ein Holzspielzeug ein

Screenshot test.de, 23.11.2023, Foto © Anne Deppe

Stichwort Geschlechterstereotype: Wie steuern Sie gegen?

Laura Schierholz
Auf den von mir und meinen KollegInnen ausgewählten Bildern hat dann auch mal der Mann den Staubsauger in der Hand. Eigentlich hatten wir in letzter Zeit nur Männer beim Staubsaugen, das ist auch schon wieder einseitig. Vor kurzem hatten wir ein Bild von einem Mann, der ein Fahrrad repariert. Da kam prompt die Zuschrift einer Frau, sie fühle sich nicht widergespiegelt. Manchmal nehmen wir aber einfach das bessere Bild, in dem Fall gab es keine Alternative.

Wir achten sehr auf Stereotype, manchmal schon so, dass es uns mehr Arbeit macht. Neulich habe ich die Geschichte über Psychotherapie gemacht. Da hatten wir bereits eine Frau und einen Mann gefunden. Und dann haben wir gesagt: Jetzt muss irgendwie noch eine ältere Frau als Bild kommen, damit die Mischung stimmt.

Screenshot test.de. Zwei Fotos: Männerhand beim Bügeln, Frauenarm füllt eine Waschmaschine

Screenshot test.de, Artikelhinweise, Fotos © EyeEm, Getty Images | Cris Cantón, Getty Images

Wir haben den Anspruch, gute Bilder zu finden. Das hat manchmal nichts mit dem Geschlecht oder mit dem Alter zu tun. Wir suchen Bilder, die überraschen, und die anders sind als andere. Wir wollen nicht den Einheitsbrei bedienen. Die Bilder sollen auch Spaß machen.

Wie das Bild mit dem Flamingo-Schwimmreifen? Coole Wahl! Sonnencremebilder kennen wir meistens anders, sexualisiert.

Werner Hinzpeter
Eine laszive Frau auf den Titel mit dem Text: „Nichts anbrennen lassen“ für einen Sonnencremetest, das ist lange her. Sexismus gab es in jeder Redaktion, in der ich in meinem Leben gearbeitet habe, hier auch. Aber da hat sich wirklich was getan und auch noch mal gedreht, in den elf Jahren seitdem ich hier bin. Wir haben eine Chefredakteurin, Isabella Eigner. Julia Witt ist Stellvertreterin wie ich, wir kommen beide aus Redaktionen, die eine harte Schule in Sachen Text und Bild waren. Zu dritt sind wir ein gutes Team, mit einem hohen Bewusstsein für unsere Arbeit, niemand redet uns rein. Ich glaube aber auch, die Frauen gucken anders auf die Bilder als ich als Mann. Ich habe das Gefühl, es gelingt uns ganz gut, nicht sexistisch zu sein.

Laura Schierholz
Unsere Bildsprache ist uns wichtig, gerade bei den Symbolbildern. Ich habe das Bild mit dem Flamingo gefunden. Viele Agenturen arbeiten bei der Bildersuche heute mit KI, was die Suche erleichtert. Ich gebe dann viele Prompts ein, spiele mit dem Wort „Sonne“ und mit einem zweiten Stichwort, das nicht unbedingt „Sonnencreme“ ist. Ich wollte ein atmosphärisches Bild mit einer Person haben. Da weiß ich dann schon, welche Agentur am ehesten solche Fotos hat. Das mache ich dann solange, bis ich das Passende gefunden habe.

Screenshot test.de. Zwei Fotos: Männerhand beim Bügeln, Frauenarm füllt eine Waschmaschine

Screenshot Stiftung Warentest, 18.7.2024, Foto © Ekaterina Yakunia, Westend61

Ich bin auch jeden Tag auf den Websites von Fotograf*innen unterwegs und alles, was mir gefällt, screenshotte ich und lege das in meinem Ideenordner ab. Sonnencreme machen wir irgendwann wieder, und dann habe ich ein gutes Foto. Ich muss es nur wiederfinden und dann noch kaufen. Mein Ziel ist, dass wir eher direkt von Fotograf*innen Bilder einkaufen. Dadurch haben wir eine ganz andere Vielfalt. Die sind ja nun mal ständig unterwegs und fotografieren alles und jeden. Das so zu machen, ist natürlich ein bisschen aufwändiger als mal eben durch das Angebot der Agenturen zu gehen.

Beim Thema Alter sehe ich in Zeitungen und Magazinen in letzter Zeit anstelle der üblichen Rollatorenbilder etwas mehr Abwechslung. Manches finde ich aber überinszeniert.

Laura Schierholz
Ich habe neulich das Thema Demenz bearbeitet. Da habe ich diese übertriebenen Bilder auch gesehen. Es ist total schwierig, Alter richtig darzustellen. Wenn dann noch Krankheit dazu kommt, erst recht. Oft erkennen wir die Models wieder, die in dem Bild sind, und beim nächsten Shooting wieder auftauchen. Bei den schönen Altersmodels habe ich manchmal das Gefühl, die sind gar nicht so alt. Die sollen eine breitere Altersspanne abdecken, aber das kommt nicht hin, wenn man die so anguckt.

Manche Agenturen haben eigenartig weichgezeichnete Bilder, das liegt vielleicht an deren Nachbearbeitung oder an einem Filter. Es gibt auch einen Unterschied zwischen einem gestellten, scheinbar lebendigen Bild und einem echt reportagigen Bild, das aber womöglich ein bisschen gestellt ist. Wenn man sich damit beschäftigt, sieht man das. Da höre ich dann schon unsere Chefredaktion in der Layoutbesprechung sagen: „Das ist zu stockig“, sieht also zu sehr nach austauschbaren Agenturbildern aus.

Menschen mit Behinderungen:  Wenn wir die Inklusionsidee ernstnehmen, sollten sie selbstverständlicher auch bei Beiträgen zu sehen sein, wo es nicht um Behinderung geht.

Laura Schierholz
Ich habe diese Bilder auch schon gesehen, in den Agenturen. Aber es sind ganz wenige und wenn, dann sieht man Menschen im Rollstuhl oder mit Down Syndrom. Neulich habe ich jemand gesehen, der hatte eine Prothese. Ich habe nicht so viel Berührung mit dem Thema, aber wenn es beispielsweise um Familie geht, könnte so ein Bild doch mal dabei sein.

Werner Hinzpeter
Ich kann mich nicht dran erinnern, dass wir das schon mal bewusst gemacht hätten. Aber es stimmt, in einem ganz gewöhnlichen Kontext, zum Beispiel bei einem Fernsehertest, könnte auch mal ein Mensch mit einer sichtbaren Behinderung vor dem Gerät sitzen.

So viele feinsinnige Überlegungen für die Bebilderung. Gibt es festgelegte Redaktionsabsprachen?

Laura Schierholz
Solche Standards haben wir eigentlich nicht. Es ist einfach zu individuell, was der Redakteur oder die Redakteurin sich wünschen, und worauf es bei dem Thema ankommt. Die Fotograf*innenwelt ist vor allem im Still-Life-Bereich immer noch sehr männerlastig. Wir haben aber ziemlich coole Frauen, die für uns arbeiten. Eine Frau guckt auf Sachen anders als ein Mann. Sogar beim Thema Fahrradhelme wollte ich, dass das eine Frau macht, um ein bisschen einen weiblicheren Blick da drauf zu haben. Der Unterschied? Manchmal ist es die Lichtsetzung, manchmal die Farbauswahl oder einfach, wie sie das Thema umsetzt.

Werner Hinzpeter
So wie wir das Thema Bebilderung in diesem Interview reflektieren, habe ich das Gefühl, es gelingt uns schon ganz gut. Da ginge aber noch ein bisschen mehr, und da wird auch noch mehr kommen.

Laura Schierholz, Werner Hinzpeter, ich danke für den interessanten Einblick in die Arbeit einer Bildredaktion.

Portrait Christine Olderdissen

© Katrin Dinkel

Christine Olderdissen

Genderleicht & Bildermächtig Projektleiterin

Als das erste Mal eine Interviewpartnerin mit dem Glottisschlag sprach, war das für sie ein Signal: Schluss mit dem generischen Maskulinum, lieber nach einer sprachlichen Alternative suchen. Eine einfache und elegante Lösung findet sich immer. Lange Zeit Fernsehjournalistin galt ihr Augenmerk schon immer der Berichterstattung ohne Stereotype und Klischees.

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