Athletinnen im Fokus: Der neue Ansatz von Sportschau F

von | 18. Juni 2024 | Bildimpulse

Zweikampf zwischen einer isländischen Fußballerin im blauen Trikot und einer deutschen im weißen Trikot.

Giulia Gwinn, ganz in Weiß, vs. Dilja Zomers im blauen Trikot beim EU 2024 Qualifikationsspiel Deutschland gegen Island
Foto ©Fotostand Nieweler, Picture Alliance

Zu kurze Hose, zu weites Trikot … und auch noch alles in Weiß. Sobald eine Athletin zum Wettbewerb antritt, rückt nicht nur ihre sportliche Leistung in den Mittelpunkt, sondern auch ihr Äußeres. So sehr, dass manche Athletin im Vorhinein nicht nur über die Abläufe im Stadion, sondern auch über den perfekten Sitz der Hose nachdenkt, der später auf Bildern und TV-Sequenzen festgehalten wird.

Auch auf dem Instagram-Kanal @sportschau_f, der aus dem NDR-Format frauensport.inside hervorgegangen ist, sind die Outfits der Sportlerinnen Thema. Allerdings geschieht das, wie bei anderen Themen auf dem Kanal, indem die „weibliche Sicht mit Selbstverständlichkeit in den Fokus“ gestellt wird, wie es Sandra Maahn, Sportredakteurin beim NDR, beschreibt.

Screenshot-Instagramkanal-Sportschau_F-2024-06-18 mit Leadzeile und den ersten drei Kacheln

@sportschau_f bei Instagram, Screenshot 18.6.2024

Prominent: Sportlerinnen sind gefragt

Bei Themen, bei denen die Gefahr besteht, dass über Sportlerinnen und ihre Körper geurteilt wird, werden auf dem Kanal die Positionen der Athletinnen prominent dargestellt. Das war zum Beispiel kürzlich bei der Olympia-Kleidung für die US-Athletinnen der Fall. Ein knapp geschnittenes Leichtathletik-Outfit hatte für Aufruhr gesorgt. Sportschau F zeigte das entsprechende Kleidungsstück und bildete zudem drei Meinungen von US-Athletinnen ab. Während zwei Frauen heftige Kritik äußerten, lobte eine Sportlerin die Tatsache, dass jede Athletin die Wahl habe, was sie anziehen möchte. Dadurch, dass Athletinnen bei solchen Themen zu Wort kommen, wird eine mögliche Objektivierung der Sportlerinnen direkt aufgelöst.

Screenshot Instagram - Foto mit den Trikots für die US-Athlet*innen und Text: Kritik an Olympia-Outfits der USA

Screenshot @sportschau_f, 20.4.2024
Collage Sportschau F mit Foto @ Nike

Screenshot Instagram - Foto mit den Trikots für die US-Athlet*innen und Text: Kritik an Olympia-Outfits der USA

Screenshot @sportschau_f, 20.4.2024
Collage Sportschau F mit Fotos von ©Imago, Action Plus, NurPhoto, Aflosport, instagram, CitiusMag

Ähnlich ging Sportschau F bei den weißen Hosen der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen vor. Hier wurde eine Stellungnahme des DFB eingeholt. Während sich die englische Fußballnationalmannschaft der Frauen im letzten Jahr aufgrund der Periode grundsätzlich gegen weiße Hosen entschieden hatte, will die deutsche Auswahl weiter in Weiß auflaufen. Schwarze Hosen gibt es außerdem als zusätzliche Option.

So diskutiert die sportinteressierte Community

Als weitere Ebene setzt Sportschau F auf die Community. „Es ist uns wichtig, keine vorgefertigten Meinungen vorzugeben, sondern der Community ein Problem aufzuzeigen und ihr dann aber die Chance zu geben, sich mit dieser kritischen Haltung auseinanderzusetzen“, sagt Sandra Maahn. Spannend sei dabei, dass häufig die Haltung der aktiven Sportlerinnen anders sei, als die der Sportinteressierten.

Wenn ein Thema in der Community große Wellen schlägt und kontrovers diskutiert wird, werden die Meinungen der Follower*innen zudem selbst zur Nachricht. Das Team veröffentlicht dann ausgewählte Kommentare in einem weiteren Post.

„Interessant ist auch, dass gerade die Männer in unserer Followerschaft besonders verständnisvoll und engagiert für feministische Themen sind, andererseits aber auch immer wieder deutlich wird, dass sie einige der Themen und Probleme schlicht nicht nachvollziehen können. Das ‚weiße Hosen‘-Thema ist dabei ein gutes Beispiel, da gab es viele Kommentare mit der ehrlich gemeinten Frage (von Männern, aber auch von Frauen), wo denn das Problem bei weißen Hosen wäre“, sagt Maahn.

Neue Themen, neues Sportpublikum

„Tennis-Star Venus Williams bekommt eine eigene Barbie-Puppe“. Auch diese Nachricht war Sportschau F eine Meldung wert – versehen mit der Überschrift „Mehr Sichtbarkeit oder Marketing-Masche?“ Ein anderer Post beschäftigte sich mit den Hamburger U14-Wasserballerinnen. Diese hatten sich über die Optik der Medaillen beschwert, da auf ihnen einzig Männer abgebildet waren. Obwohl es ein reines Mädchenturnier war.

Bei beiden Themen geht es um Repräsentation, so verschieden die Protagonistinnen auch sind. Und noch eine Gemeinsamkeit: Beide Meldungen hätten es wohl bei vielen Sportmedien nicht auf deren Seite oder ins Programm geschafft. Auch ich hätte sie nicht ausgewählt. Vielleicht, weil ich seit Jahren an die Mechanismen der klassischen Sportberichterstattung gewöhnt bin, vielleicht, weil ich Sportlerinnen unbedingt die gleiche Präsenz bieten möchte, wie den Männern. Und das bedeutet für mich zuallererst ein Fokus auf sportliche Leistungen.

Aber dann sehe ich, dass Freundinnen explizit diese Posts liken, Freundinnen, mit denen ich noch nie über Sport gesprochen habe, die mit einer anderen Perspektive auf die Sportlerinnen schauen. Sandra Maahn erklärt, dass sich die Redaktion von Sportschau F um eine Mischung bemüht: „Die Community erwartet von uns Aktualität und fordert diese aktiv ein. Wir stellen aber immer wieder eben auch fest, dass in unserer Community Geschichten von beeindrucken Frauen und ihren Leistungen, von Role Models oder Prominenten wichtig und gewünscht sind. Und auch die Erlebnisse junger, noch unbekannter Sportlerinnen, die Besonderes erleben oder schaffen, werden angenommen.“ Viele der Follower*innen würden sich mehr für Sportlerinnen als für den tagesaktuellen Sport interessieren.

Ganz oder gar nicht? Das Dilemma von Sportschau F

Wie rasant 6,84 Sekunden an der Kletterwand aussehen, ist ohne Bewegtbilder schwer zur vermitteln. Doch dieses Bild gibt definitiv sein Bestes. Der konzentrierte Blick der Kletterin, der nach oben gerichtet ist, die rechte Hand, die sich kurz am Griff festhält, um im nächsten Augenblick zur höheren Station zu greifen. Und die Haare, die gerade noch die letzte Bewegung nachfedern.

Mit diesem Ganzkörperbild wird die Speedkletterin Franziska Ritter auf Sportschau F vorgestellt – ein Bild, das Interesse weckt für einen Sport und eine Sportlerin, die beide nicht allzu sehr im Rampenlicht stehen.

Instagram-Kachel mit Foto einer Kletterin an der Kletterwand, Text: Speedy an der Wand: Sie ist 6,84 Sekunden schnell

Screenshot @sportschau_f
©images of passion @visual_exerience/d.sports

Doch könnte es für Ritter und die anderen bebilderten Frauen auf dem Channel noch mehr Rampenlicht sein? Das wünschen sich einige Leute in den Kommentaren auf Sportschau F. Es gibt Kritik daran, dass ein Extra-Kanal existiert und nicht alles gleichberechtigt auf einem Channel stattfindet – also zum Beispiel auf dem Channel der Sportschau mit 516.000 Follower*innen Anfang Juni 2024 anstatt auf Sportschau F, der zum gleichen Zeitpunkt 57.400 Follower*innen hatte.

Sportredaktionen denken um: Das ist der Trend

„Durch unsere Ausrichtung und unsere enge Zusammenarbeit mit der Sportschau-Redaktion haben es in den vergangenen zwei bis drei Jahren deutlich mehr ‚Frauenthemen‘ in die Sportschau-Produkte ‚geschafft‘ als davor. Nicht, weil wir darauf gedrängt haben, sondern weil das bloße Angebot dazu führt, sich damit mehr zu beschäftigen“, sagt Sandra Maahn dazu. Diese Erfahrung mache sie so auch in der NDR-Sportredaktion, wo sich die Redaktion nur durch die Existenz von Sportschau F viel häufiger die Frage stelle, ob es vielleicht auch für die linearen Sendungen ein gutes Frauenthema oder einen guten weiblichen Gast geben könnte.

Sportschau F ist ja bereits ein Ergebnis eines Prozesses und einer Diskussion, die in den unterschiedlichsten Sportredaktionen der ARD in den vergangenen Jahren stattgefunden haben. In verschiedenen Häusern ist die Erkenntnis gewachsen, dass die Frauen im Sport mehr Aufmerksamkeit verdient haben“, ergänzt sie. Beispiele seien frauensport.inside vom NDR, das heutige Sportschau F, oder die Doku-Serie Generation F – Zeit für Sportler:innen von WDR, NDR und SWR. Außerdem beteilige sich zum Beispiel die NDR-Sportredaktion an der 50:50-Challenge der BBC.

„All das ist ein Prozess und noch ist der Anteil des Frauensports in den Medien geringer als der des Männersports,“ sagt Maahn. „Aber es gibt eine deutliche Entwicklung, die man auch an der Vielzahl weiblicher Moderatorinnen, Reporterinnen und Autorinnen ablesen kann.“

Portrait Kerstin Börß

© privat

Kerstin Börß

Gastautorin

hat als Kind die Wände mit Tour-de-France-Bildern aus der Zeitung tapeziert, nachdem sie diese stundenlang im Fernsehen beobachtet hatte. Der Weg war also eigentlich vorgegeben, doch in ihrer journalistischen Laufbahn versuchte Kerstin Börß immer wieder, dem Sport zu entkommen – unter anderem mit Ausflügen in die Filmwissenschaft. Zum Glück hat der Sport nicht locker gelassen.

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